VORAUS:denken

Das erste starke Reisewochenende der Saison war zu Ostern, begonnen hat es am Karfreitag. Bereits um sechs Uhr früh stauten sich die Autos von der österreichischen- italienischen Grenze bis zurück in den Ort und darüber hinaus. Die Grenze ist vom Ort etwa fünf Kilometer entfernt. Der Übertritt nach Italien bildete in den achtziger Jahren eine wirkliche Grenze, auf beiden Seiten wurden die Reisepässe kontrolliert und teilweise auch das Reisegebäck. Diejenigen, welche an der Bundesstraße wohnten, brauchten keinen Kalender um zu wissen, dass Ostern nahte. Die Autogeräusche hörte man in das Schlafzimmer und in die Küche. Noch stärker war der Reiseverkehr am Pfingstwochenende und ab diesem Zeitpunkt staute es sich an jedem Wochenende. Es gab sogenannte Hyperwochenenden, wenn mehrere Deutsche Bundesländer Ferienbeginn hatten oder bei den Automobilfabriken der Betriebsurlaub stattfand. Der starke Reiseverkehr teilte den Ort in zwei Teile, die Bundesstraße war eine innerörtliche Grenze, die man nur mit Mühe überqueren konnte. Zeitweise war der Ort für die Einwohner nur über eine Nebenstraße erreichbar, die Bundesstraße war verstopft. Für die meisten Dorfbewohner war dies eine Belästigung, aber einige Branchen wie Tankstellen, Fleischhauer und die Gasthäusern entlang der Ortsdurchfahrt waren die geschäftlichen Gewinner. Eine große Auswahl an Speisen war nicht notwendig, nur das Servieren musste schnell gehen, die Durchreisenden hatten es eilig. Oft ist eine Person aus dem Auto ausgestiegen und in eine Fleischerei gelaufen, um für alle  heiße Würsteln oder Leberkäsesemmeln zu holen. Das Auto, welches langsam in der Kolonne vorwärtsgefahren ist, hat man wieder leicht  eingeholt. Eine Zeitung oder Illustrierte zu kaufen, war kein Problem, dabei hatte man das vorwärtsrollende Auto immer im Blickpunkt. Ich habe mit Wehmut vom ersten Stock auf die übergroßen Wohnwagen und die Autos mit einem Boot am Anhänger, die in Richtung obere Adria unterwegs waren, geblickt.

Eine einschneidende Veränderung gab es in Arnoldstein Mitte der Achtziger Jahre, als der Durchzugsverkehr, durch die Eröffnung der Alpen Adria Autobahn, aus dem Ortsgebiet ausgelagert wurde. Im Juni des Jahres 1984 wurde das Autobahnteilstück von Villach bis zur Staatsgrenze freigegeben. Am Pfingstsamstag rollten in den Morgenstunden die Autos noch im Schritttempo durch den Ort, nachdem der Autobahnabschnitt am späten Vormittag für den Verkehr freigegeben wurde, war es von einer Stunde auf die Andere mit dem Autoverkehr Schluss. In den Vormittagsstunden waren die Gastgärten der Gasthöfe noch voll besetzt, ab der Mittagszeit herrschte eine gespenstische Leere. Am frühen Morgen des Pfingstsonntags konnte ich, als ich aus dem Schlafzimmerfenster sah nicht begreifen, dass auf der Straße gähnende Leere herrschte: Keine lärmenden Erwachsenen, die ihren Unmut über den Stau freien Lauf ließen, keine zuschlagenden Autotüren und dröhnende Autoradios, keine Kinder die lautstark  darum bettelten auf das Klo gehen zu müssen. Die Notdurft wurde meistens zwischen den Häusern auf unbebauten Wiesen verrichtet.

In den nächsten Tagen konnte man auf der Bundesstraße, wo man eine Woche davor nur unter Lebensgefahr die Straße überqueren konnte, Fußball spielen. Aus Neugier benützte ein Großteil der Einheimischen in den ersten Monaten, wenn sie zur Arbeit oder für eine Erledigung in die nahe Bezirksstadt fuhren, die Autobahn.

Autobahnauffahrt.

SPECK:fest

Auch in diesem Jahr öffnen sich in wenigen Tagen die Pforten zum Speckfest. Eine Veranstaltung, die  ganz nach dem Geschmack der Gailtaler und vieler Kärntner ist. In allen Bevölkerungskreisen finden sich Freunde des GailtalerSpecks und der GailtalerFrigga. Der direkte Weg um sich mit einer Region zu identifizieren erfolgt über das Essen und Trinken, dies hält Leib und Seele zusammen. Die Gewinner des dreitägigen Speckfestes sind die bäuerlichen Direktvermarkter. Der Frontmann des Speckfestes ist der GailtalerSpeck, an ihm kommt kein Besucher vorbei. Dazu kommen Salami, Hauswürstel und Käse. Für den GailtalerKäse gibt es im Herbst ein eigenes Käsefest. Ohne diese Feste wären die Bewohner des Tales heimatlos, sie würden in der Gail das Gailtal hinuntertreiben, um dann am GailSpitz in der Drau zu ertrinken. Das Gailtal würde sich entvölkern, aber überall wo ein Gailtaler fehlt, würde ein Sommerfrischler als Zweitwohnungsbesitzer nachrücken.

In Erinnerung geblieben ist der Streit zwischen dem Verein des GailtalerSpeck und einer Landwirtin aus dem Gailtal.  Ursache des Streites war, dass nur jemand, der Mitglied des Vereins GailtalerSpeck ist, seinen Speck GailtalerSpeck nennen darf. Auch wenn der Speck von einem Gailtaler Bauer erzeugt wird, so darf dieser nicht GailtalerSpeck genannt werden, wenn der Bauer nicht dem Verein GailtalerSpeck angehört. Nur ein Vereinsspeck ist ein echter GailtalerSpeck.

So gerät das Gailtal, seine Berge, der Schnee, das Wasser, die Luft, der Speck und der Käse, immer mehr in die Hände von Marketingstrategen. In Zukunft wird auch die Aussage, “Ich bin ein Gailtaler”, dem Markenschutz unterliegen und  nur wer Mitglied vom GailtalerVerein ist, darf dies von sich sagen. Jeder andere Gailtalbewohner müsste dafür Strafgebühren zahlen.

 Schwein gehabt.

VERLORENE:zeit

Wie sorglos man mit der Zeit umgeht erlebt man, wenn man in Pension geht. Es gibt keine bestimmte Zeit für das Aufstehen, man handhabt dies wie die Gleitzeit in manchen Betrieben. Die täglichen Aufgaben sind in keinem Zeitrahmen geplant, sie können aus dem Zeitrahmen fallen und dies nimmt man weiter nicht übel. Neben dem Alltag und der Freiwilligenarbeit wundert man sich, dass die Erledigung von Aufgaben eine neue Wertigkeit erhalten. Bei Vorhaben, die man in der Berufszeit um einen Monat verschieben wollte, denkt man daran, um ein Jahr zu verschieben. Bei Plänen die sich außerhalb der Notwendigkeit bewegen, von denen man früher gesagt hätte, diese möchte ich in den nächsten drei Monaten erledigen, denkt man jetzt daran, sie in den nächsten drei Jahren zu erledigen. Es braucht einen starken Willen, dass die Muse nicht alltäglich wird. Blickt man auf die Pensionsjahre zurück, dann sollte man nicht eingestehen müssen, dass es eine verlorene Zeit war. Während der Berufszeit ist das Hören von Musiksendungen nebenbei passiert, in der Pension kann man sagen, die Zeit des Radiohören ist kostbar. Es ist schön, wenn man sich die Zeit einteilen kann, zwischen Erbauung, Nächstenhilfe und kreatives Schaffen.

Eine schöne Erfahrung ist, dass es keinen Zeitdruck mehr gibt und die körperliche Balance besser geworden ist. Man sagt, dass die Zeit alle Wunden heilt, ob dies stimmt?

Getreidekörnchen.