VERVÜCKT:heit

Wir, die wir uns normal benehmen, stecken voller Verrücktheiten. Der Fortschritt, unser tägliches Leben wäre ohne die verrückten Ideen verschiedener Menschen nicht möglich. Denken wir an unsere Fortbewegung, das Auto, die Eisenbahn oder das Flugzeug. Es ist eine Verrücktheit das wir, die wir von Natur aus mit zwei Füßen ausgestattet sind und uns seit Millionen von Jahren mit einer Geschwindigkeit von vier Kilometer in der Stunde bewegen, uns in ein Auto setzten und damit die dreißigfache Geschwindigkeit erreichen. Dafür geben wir oft bis zu dreißig Prozent von unserem Gehalt aus, um unser Leben einer ständigen Gefahr auszusetzen. Dazu kommen die Probleme mit der Lärm- und Abgasbelastung, die unsere Umwelt gefährdet.

Die größere Verrücktheit ist das Verreisen mit dem Flugzeug. Vieles, dass wir bequem aus Reiseerzählungen, von TV-Reportagen oder Diashow kennen, wollen wir durch eine Fernreise selbst erkunden. Würden in einem Geschäft von uns für einen Einkauf die Personaldaten erhoben werden, woher wir kommen und den Grund des Einkaufes, so würden wir ein anderes Geschäft ansteuern. Müssten wir beim Betreten des Geschäftes einen Ausweis vorweisen, ein Foto und einen Fingerabdruck hinterlassen, würden wir schnellstens umkehren. Anders verhalten wir uns bei einer Reise mit dem Flugzeug. Wir nehmen eine lange Wartezeit für die Abfertigung im Schalterraum in Kauf, Auskünfte, Gebäcks- und Leibeskontrollen. Alles freiwillig und zu eigenen Sicherheit, die versprochen wird, aber die es nicht gibt. Weil irgendwann jemand wieder so verrückt sein wird und versuchen wird, ein Flugzeug in die Luft zu sprengen. Die Beschwerden und die Anpassungsschwierigkeiten die das Fliegen hervorruft, nimmt man gerne in Kauf. Bei ähnlichen Gefährdungen am Arbeitsplatz würde man das Arbeitsinspektorat einschalten.

Tiefflug.

DANIEL:teil1

Der spaziergang jeden sonntagvormittag mit dem taglöhner daniel vom dorfbrunnen  zur mülldeponie und zurück ist für mich eine zeremonie wie es vorher der besuch der sonntagsmesse war. Seit jenem sonntag als der taglöhner und ich nicht den weg zur kirche sondern den weg zur müllablagerung wählten müssen wir auf  unseren spaziergängen entgegenkommmenden kirchgängern ausweichen. Bei unseren spaziergängen schweigen wir. Es ist für ihn meine, für mich seine art und weise des gehens die jeden ansatz eines gespräches zwischen uns zerstört. Unsere verständigung beschränkt sich auf gesten. Die bis in den nachmittag dauernden spaziergänge sind für mich, der ich des gehens ungewohnt bin sehr anstrengend. Am müllablagerungsplatz verständigen wir uns durch das hinzeigen auf die verschiedensten abfälle ohne worte. Begriffe wie verwahrlosung, kreuzigung oder kopfleiden lassen sich auf diese art und weise gut zum ausdruck bringen. 

Auf dem müllplatz kann man an der art speiseabfälle die jahreszeiten frühling, sommer, herbst und winter erkennen. Daniel arbeitet auf dem müllplatz und hat die fähigkeit entwickelt aus den küchenabfällen die mahlzeiten der vornehmen familien des dorfes aufzuzählen. Das maßlose essen ist für daniel eine ersatzbefriedigung und eine förderung des niederen triebes im menschen. Es führt dazu, dass die wartezimmer der ärzte überfüllt sind. Die betten in den krankenhäusern sind von erwachsenen belegt, welche sich den wohlstandsbauch entfernen lassen. Für manche erwachsene ist dieser krankenhausaufenthalt eine jährliche selbstverständlichkeit, wie der jährliche urlaub an einem der verschmutzten meeresstrände. Von ihm gering geachtet werden jene, welche durch die  hilfe ihres wohlstandsbauches in der gemeinde zu ansehen und gut bezahlten posten gekommen sind. Das vermehrte aufkommen von müll steht in zusammenhang mit der hoffnungslosigkeit welche in der bevölkerung herrscht. Daniel arbeitet an einer studie über speisemüll, von ihm kurz müllologie genannt. Er konnte eine wechselbeziehung zwischen mißerfolg im beruf, ungestillten bedürfnissen und vermehrten speisemüllabfällen beobachten. Er selbst lebt mit einem minimum an bedürfnissen.

ROTE:stuhl

Vor der Stadt liegt das Viertel der gelben, blauen, grünen Neonröhren, der blinkenden, laufenden Leuchtreklamen, der Werbespots. Abends umschwirren die Shoppingsüchtigen die Leuchtreklamen wie die Maikäfer das Gartenlicht. Nach regnerischen Frühlingstagen wird das Lichterviertel von einer Nebelbank eingehüllt. Durch die Nebelwand leuchten rot die Umrisse von einem übergroßen Stuhl. Bei Tagesanbruch sieht man zwischen den frisch verschneiten Berggipfeln das Rosa der inneren Schamlippen von den Nachtträumen. Der Schnee verfärbt sich im Frühsommer rosa, von den Fußverletzungen und Rippenbrüchen. Die Sitzfläche des roten Stuhls zieren Heizspiralen, die sich in den Hintern brennen. Wer sitzt als erster auf den roten Stuhl, wer besteht die Feuerprobe. Kommt das Leben abhanden, dann bleibt das Ich übrig, das Unbekannte. Wer kennt sein körperliches Inneres. Die Funktion der Leber, der Lunge, des Herzen, die Schmerzen der Nieren, die Trägheit des Darmes. Was tun, wenn die Funktionen nachlassen. Das Sitzen am Stuhl schnürt den Darm ab, es schneidet in die Darmwand. Mit dem Feuerstuhl fährt man zwischen den Berggipfeln in ein fremdes Land.

Feuerwagen.

WUNSCH:los

Die  Einkaufszentren laden zu einem Rabatteinkaufswochenende ein, alles minus 10 bis 20 Prozent. Dort  wird man schon lange nicht mehr gefragt: „Haben sie noch einen Wunsch.“ Früher war dies beim Greisler eine Standardfrage, wenn alle gewünschten Artikel auf dem Verkaufspult standen. Die Positionen wurden durchgezählt und mit den Posten am Kellnerblock vom Villacher Bier verglichen. Danach händisch zusammengezählt, zweimal zur Kontrolle. Dies ging alles sehr schnell, nicht ganz so schnell wie heute beim Scannen im Supermarkt. Von der Supermarktkassiererin wird verlangt, eine gewisse Anzahl von Positionen, in einer gewissen Zeit einzuscannen. Erreicht sie das vorgeschriebene Limit nicht, ist sie ihren Job los. Da bleibt keine Zeit zu fragen: „Haben sie noch einen Wunsch“. Bei einer Begegnung auf der Straße wird nach der Begrüßung oft gefragt, wie geht es heute und es heißt dann, ich bin wunschlos.

Wunschlos glücklich sein kann man auch, wenn man infolge eines grippalen Effekts im Bett liegt, keine ernsten Beschwerden hat, und sich die Zeit gönnt auszuspannen. Nichts muss funktionieren, niemand verlangt etwas, alles geschieht freiwillig. Die Augen, die Gedanken, den Körper baumeln lassen.

Vitamin C Brause. 

PAPIER:müll

Von traditionsreichen Firmen, die über Jahrhunderte Bestand haben, kennen wir in Museen die handschriftlich geführten Journale und Geschäftsbücher, wo genaue Aufzeichnungen geführt wurden: Was wem, wann, verkauft wurde und wie bezahlt wurde, ebenso was von wem, wann, eingekauft wurde. Strenger gehandhabt wurden diese Aufzeichnungen bei den  Geldverleiher. In der Schifffahrt wurde in den Bordbüchern jede Fracht und alle Vorkommnisse vermerkt. Irgendwann muss jemand dafür Verständnis aufgebracht haben, dass Geschäftsunterlagen, die Finanzbuchhaltung nicht für immer aufgehoben werden muss. Hätte es damals schon die sieben Jahresfrist gegeben, wären diese Aufzeichnungen nicht mehr vorhanden.  

Dieses Jahr können die Buchhaltungsunterlagen aus dem Jahre 2002 in die Papiermülltonne gegeben werden. Dabei sieht man, dass manche Firma nicht mehr existiert oder das man keinen geschäftlichen Kontakt mehr hat. Solche Veränderungen passieren schon in sieben Jahren, wie vieles wird sich in siebzig Jahren ändern? Hinter diesen Papieren versteckt sich viel Arbeit: Bestellungen, Lieferungen, Auspacken und Einräumen. Viele Verkaufsgespräche mit den Kunden. Jetzt kommt alles in den Müll, auch die Erinnerungen.

Insiderwissen.