handy:selfie II

Bei der Messfeier im Kloster Wernberg, anlässlich des Kloster- Kirchtages, wurde die Kirchengemeinde, die Kinder und die Erwachsenen in den Ablauf einbezogen. Mit kurzen Geschichten, persönlichen Texten und Liedern. Die Bereitschaft für das Spirituelle wurde geweckt, eine Garantie für die innere Verwandlung gibt es nicht. Verändert hat sich in den letzten Jahrzehnten das Verhalten der Kirchenbesucher. Wir saßen als Jugendliche mucksmäuschenstill in der Kirchenbank. Daneben versäumten  wir es nicht, nach den Mädchen auf der anderen Seite zu schielen, aber doch sehr artig. Heute gesteht man den Kindern zu, dass sie sich salopper benehmen. Kleinkinder  nicht als störend empfunden werden, wenn sie nach einer halben Stunde Liturgie die Geduld verlieren. Wie in anderen öffentlichen Bereichen, im Warteraum eines Arztes, bei einer Imbissstube, in einem Bus, in einer Konzertveranstaltung, so hat das Handy auch im Kirchenraum Einzug gehalten. Hier sind es vor allem die älteren Semester, deren Handy läutet, weil sie es vergessen haben stumm zu schalten. Manches Mal verbirgt sich dahinter auch der Umstand, dass es Mühe macht, das Handy aus-bzw. einzuschalten. So passiert es regelmäßig, dass während der Messfeier das Eine und ander Handy läutet, zumeist sehr laut, damit man es im Alltag nicht überhören kann. Es dauert zumeist um einiges länger bis es ausschaltet wird, weil so flink wie die Jugend sind die Senioren im Umgang mit dem Handy nicht. In einigen Fällen wird auch in der Kirchenbank  telefoniert, zumeist handelt es sich um eine Einladung zum Mittagstisch von den Kindern oder Enkel.

Durch das Handy sind die Tuscheleien in den Kirchenbänken und die Fotoapparate aus dem Kirchenraum verdrängt worden. Gestalten Kinder die Messfeier mit, dann wird von den Eltern mit dem Handy ein Video aufgenommen. Das Handy über eine längere Zeit mit beiden Armen hochgehoben, gerade so, wie der Priester den Kelch bei der Wandlung von Wein in Blut hochhält. In den Bänken dahinter können die Gläubigen via Handy den Handlungen am Altar folgen. Am Ende der Messe erfolgt ein Selfie mit dem Zelebranten des Gottesdienstes. Als der Kardinal von Österreich sein erstes Selfie in das Web gestellt hat,  war dies vielen Tageszeitungen ein Meldung wert. Meines habe ich vor vielen Jahren auf der Biennale in Venedig gemacht.  FOTO EINFÜGEN

handy:selfie I

Die Gesten und die Handlungen, welche während einer katholischen Messfeier ablaufen, sind für die dasitzenden Kirchenbesucher zu zumeist irritierend. Sie sind zum passiven Zuschauen verdammt. Am Altar erfolgt eine Huldigung an den einen persönlichen Gott und die Riten erfolgen Sonntag für Sonntag  in derselben Reihenfolge. Es macht keinen Unterschied, egal ob man sich im Inland oder im Ausland befindet, ob man die Sprache des Zelebranten versteht oder nicht, der Ablauf erfolgt nach demselben Muster. Das eindrucksvollste Ritual ist die Wandlung, die Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi. Wobei dies nicht wörtlich gemeint sein kann, denn dies wäre barbarisch. Dahinter steht wohl der spirituelle Hintergrund, in der Kommunion sich ganz mit Christus zu vermählen. Eine innige Beziehung einzugehen, um ein Körper und ein Geist zu werden. Eine Beziehung wie zwischen Frau und Mann, Frau und Frau oder Mann und Mann. Vielleicht wurde diese Feier auch installiert um zu verhindern, dass sich zwischen Gott und den Gläubigen eine Distanz entsteht. So kann sich die Bindung, welche untereinander herrscht nicht lockerer werden und bei Bedarf täglich, zumindest einmal wöchentlich erneuert werden. Ich müsste einmal nachfragen, was es mit der Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi aus religiöser Sichtweise auf sich hat. Im menschlichen Alltag würde ich solche Rituale nicht gutheißen. Eines anderen Menschen Fleisch und Blut zu sich zu nehmen wiederspricht ja auf das Strengste unseren menschlichen Verhaltensweisen. Wagt es jemand von den Lesern dazu einen Kommentar abzugeben?

Es gibt auch einen Unterschied darin,  wie man auf diesen sakralen Höhepunkt vorbereitet wird, mit welchen Liedern und mit welchen Texten. Vor allem, folgen die Handlungen ganz dem Schema oder bemüht man sich eine menschliche Komponente einzubringen. Für wen sonst ist die Zeremonie gedacht? Geht es nicht auch darum, dass man sich während der Messfeier wohlfühlt? Wobei auch das geistige Niveau und die gegenseitige Sympathie zwischen den Kirchgängern und dem Priester eine Rolle spielen. Dies ist bestimmt keine ganz einfache Aufgabe. Ähnlich wie bei Senioren Cafés, wo sich viele weigern, obwohl selbst Senior, einen Seniorennachmittag zu besuchen, weil hier gibt es nur alte Leute. Am nettesten empfindet man diese Treffen noch, wenn man einen ähnlichen Beruf hatte oder Hobby ausübt und es dabei Gemeinsamkeiten gibt.

glogg:nitz II

Es vergeht eine Halbestunde und der Herr erhebt sich wieder und wendet sich an einen anderen Mitreisenden. Sein Lamento ist ungefähr das Selbe, es sei für ihn unverständlich warum er, wenn er nach Gloggnitz will, durch Kärnten fahren muss. Inzwischen hat der Zug St. Veit an der Glan und Friesach passiert, halb beruhigt und halb von den Mitreisenden gebeten setzt er sich wieder nieder. Ständig blickt er auf seine Fahrplanauskunft und schüttelt immer wieder den Kopf. Nachdem  er zum Dritten mal aufsteht und wieder jemanden anspricht, erhebe ich mich von meinem Platz und gehe auf den Pensionisten zu. In ein paar Sätzen kläre ich ihn auf, dass dies wahrscheinlich die bestmögliche Zugsverbindung sei, wo er nur einmal, in Wiener Neustadt, umsteigen muss. Der EC-Zug hat inzwischen das Murtal erreicht und hält in Bruck an der Mur. Ich versichere ihm, dass ich Bescheid sage, wenn wir über den Semmering fahren und ich werde ihn beim Umsteigen in Wiener Neustadt behilflich sein. Es ist für mich kein Problem ihn auf den Bahnsteig 5A, zum Regionalzug nach Gloggnitz, zu begleiten. Ich werde ebenfalls in Wiener Neustadt umsteigen und habe einen längeren Aufenthalt.

Noch einmal erzählt er mir von seiner Kur in Bad Gastein, wo er seit zehn Jahren hinfährt. Das Essen sei jedes Mal vorzüglich, er verstehe aber nicht, warum ihm von seiner Pension für den Aufenthalt ein Beitrag abgezogen wird. Wohl deshalb, weil für die Ausländer der Aufenthalt gratis ist. Auf seinem Nebensitz liegt ein kleiner Reisewecker. Die Wecker-zeit ist auf 13 Uhr eingestellt, die Uhrzeit wo der Zug fahrplanmäßig in Wiener Neustadt ankommen soll. Seine Fahrt nach Gloggnitz sei eine Fahrt bis an das Ende der Welt, den Fahrplanausdruck bezeichnet er als eine Irreführung durch die Behörde. Er glaube nicht, dass ihm der Bahnhofsvorstand von Gloggnitz absichtlich einen Streich gespielt hat. Als wir den Semmering hochfahren erhellt sich sein Gesicht, er räsoniert aber immer noch kopfschüttelnd über seine Reise bis an das Ende der Welt. In Wiener Neustadt begleite ich ihn auf das Bahngleis 5A zum  Regionalzug nach Gloggnitz. Dankend steigt er  in den Zug, der in zehn Minuten abfahren wird, ein.

Bei meiner Fahrt von Wiener Neustadt nach Rohrbach-Vorau krabbelt mir in der S- Bahn ein Marienkäfer auf meine Hose. Die neue Art, welche aus Asien nach Mitteleuropa eingewandert ist. Da ich kein Zugfenster öffnen kann, bugsiere ich ihn in die Verpackungshülle einer Lind Schokolade und lasse ihn vor dem Tor des Stiftes Vorau frei.

Hin und retour.

glogg.nitz I

Wer sich dagegen sträubt mit der Eisenbahnbahn längere Strecken zurückzulegen, hier erzähle ich von einer Fahrt von Villach nach Wiener Neustadt. Wäre ich mit dem eigenen Auto zum Stift Vorau angereist, hätte ich diese Unterhaltung nicht erlebt. Wobei Bahn fahren auch für kurze Strecken eine unterhaltsame Alternative zum Berufsverkehr ist. Die Eisenbahn hat seit meiner Buchhandelslehre riesige Fortschritte und Verbesserungen erfahren. Die Waggons waren in den sechziger Jahren noch nicht nahtlos miteinander verbunden, man ist im Freien über eine Plattform in den nächsten Waggon gegangen. Beim Übergang konnte man auf die Anhängekupplung und die Puffer, sowie auf die dahin rasenden Eisenbahnschwellen  schauen. Die Übergänge waren durch einen einfachen Metallrahmen, den jeder jederzeit öffnen konnte, gesichert. Im Nahverkehr hatten die Waggons einfache Holzbänke und bei Bedarf  konnte man die Waggonfenster öffnen. Verboten war es Flaschen oder sonstige Gegenstände beim Fenster hinauszuwerfen. Zum Schließen der Fenster hat man an einem Ledergurt gezerrt. Es gab Raucher- und Nichtraucherwaggons. Sobald unsere Clique gesessen ist, haben wir ein Büschel Spielkarten aus dem Seesack gezogen und bis zum Aussteigen in Ferndorf Karten gespielt. Im Zug war es um vieles bequemer und vor allem gab es die bessere Luft als in den Postautobussen. Diese waren zu den Stoßzeiten  restlos überfüllt und die Luft sehr stickig.

Während ich es mir auf meinem Sitz im Eurocityzug bequem mache verlassen wir den Bahnhof Villach. Mit meinen Gedanken bin ich bei der Vorauslektüre für das literarische Wochenende im Stift Vorau. Ich bin schon gespannt, was die übrigen Seminarteilnehmer über das Buch, Das große Heft von Agota Kristof, zu berichten haben. Welche Gefühle und Empfindungen sie bei der Lektüre bewegt haben. Am Zugfenster rauscht der Wörthersee vorbei, drei Sitzplätze vor mir hat sich ein älterer Herr von seinem Platz erhoben. Er steuert auf die nächste Mitreisende zu und fragt sie, wann wir endlich in Gloggnitz ankämen. In der Hand hat er einen Fahrplanausdruck, den ihn der Fahrdienstleiter in Gloggnitz vor seinem Kurantritt in Bad Gastein mitgegeben hat. „Er könne nicht verstehen, warum wir jetzt am Wörthersee vorbeifahren, wo Gloggnitz gleich hinter dem Semmering liegt. Er müsse, da der EC- Zug nicht in Gloggnitz hält bis nach Wiener Neustadt fahren und dann mit einem Regionalzug wieder zurück nach Gloggnitz. Warum er jetzt durch Kärnten fährt, könne es sich nicht erklären, dies sei ja die total falsche Richtung. Er will dem Fahrdienstleiter von Gloggnitz nichts Böses unterstellen, aber dies sei ja eine Weltreise bis er von Bad Gastein nach Gloggnitz kommt“. Nach dem ihm die Nachbarin zusagt, sie werde ihm Bescheid geben, sobald  der Semmering und danach  Wiener Neustadt kommt setzt er sich beruhigt auf seinen Platz. Seinen großen Koffer, für den dreiwöchigen Kuraufenthalt, hält er mit einer Hand fest….

Fortsetzung folgt….

ver:sprechen III

Mit dem „Eurocityzug 114“  treten wir, die Jugendlichen, Ali, Hakim, Nadim und ich die Reise von Villach nach München an. Während der Zugfahrt erzählt mir Ali von ihrer Odyssee: „Unsere Eltern haben einen hohen Geldbetrag an einen Schlepper bezahlt, um uns die Einwanderung  nach Europa zu ermöglichen. Der Schlepper hat auch versprochen, dass er in Sizilien  für uns eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für die EU beschaffen wird. Wir haben gehofft  in Italien mehr Möglichkeiten vorzufinden als in unserem, vom Bürgerkrieg zerstörten, Libyen.  Mit einem kleinen Frachter, auf dem viel zu viele Leute waren, sind wir von der afrikanischen Küste ausgelaufen. Während der zweiten Nacht  ist ein Sturm aufgekommen und ein Gewitter losgebrochen. Durch den hohen Seegang  ist Wasser in das Schiff eingedrungen, es hat Schlagseite bekommen und ist in den frühen Morgenstunden gekentert. Von einer Luftpatrouille  wurden wir  im Meer entdeckt und ein Schiff der Küstenwache hat uns an Land gebracht. Wir wurden in einem Flüchtlingslager untergebracht  und darauf aufmerksam gemacht, dass wir nach Afrika zurückgeschickt werden.  Nach einer Woche hat uns der Lagerleiter holen lassen und uns vorgeschwärmt, dass wir eine große Chance bekommen. Wir wurden von einem Lieferwagen abgeholt und  in der Vorstadt von Palermo in einem baufälligen Nebengebäude eines  Internats untergebracht. Dort wurden wir  von Patres beaufsichtigt und auch stundenweise  in Italienisch und Deutsch unterrichtet. Der übrige Teil der Ausbildung bestand darin, dass wir am Vormittag abgeholt und zum Hafen gebracht wurden. Dort ankern täglich mehrere große Kreuzfahrtschiffe. Viele der Passagiere gehen von Bord und machen einen  Stadtbummel. Wir wurden aufgefordert uns unter die Touristen zu mischen und jede Gelegenheit auszunützen, um den Touristen die Fotoapparate, die Geldtaschen und die Handtaschen zu entwenden. Entlang der Touristenpfade sind Helfer mit Motorroller postiert, die unsere Beute schnell in Sicherheit bringen.“  Nadim,  der Jüngste von ihnen, schaut teilnahmslos zum Fenster hinaus, er wirkt abwesend und ist wahrscheinlich mit seinen Gedanken weit weg. Hat er Heimweh oder bedrückt ihn etwas, frage ich mich?  Hakim beginnt zu sprechen und setzt die Schilderung  von Ali fort: „Vor einer Woche wurde uns gesagt, dass wir in Deutschland  als Küchenhilfen arbeiten können. Für die Arbeit in der Küche brauchen wir ein Gesundheitszeugnis, deshalb müssen wir uns in einer Klinik in München einem Gesundheitscheck unterziehen. Eine Frau, die arabisch spricht, wird  uns betreuen und dorthin begleiten“.

„ Unser nächster Halt ist Salzburg, kurzer Aufenthalt“  tönt es aus dem Zuglautsprecher. Am Bahnsteig stehen die Leute dichtgedrängt, wie eine Lawine stürmen die Reisenden in den Zug  und hetzen auf der Suche nach einem freien Sitzplatz an unserem  Abteil vorbei. Aus dem Nichts steht plötzlich  ein Pater in einer braunen Kutte vor unserem Abteil und streckt die Hand aus, um die Tür zu öffnen. Nadim zuckt zusammen, wird blass im Gesicht und schreit: „Ein Pater! Der Pater will mich holen, ich will nicht zurück in das Internat“.  Mit einem Satz springt er vom Sitz hoch, stürmt am Pater vorbei aus dem Abteil und bahnt sich einen Weg zur Waggontür. „ Nadim“, rufe ich ihm nach, „komm zurück, nicht aussteigen, es passiert dir nichts“.  Ich werde von den entgegenkommenden Passagieren am Vorwärtskommen gehindert, langsam setzt sich der Zug wieder in Bewegung.