suizid:todsünde III

Beim Einschlafen denke ich an das Erlebnis im Intercity Zug, besonders beschäftigt mich der Zuruf der etwa dreißigjährigen Frau, dass ich für sie beten soll. Ich bin keine überzeugte Christin und zweifle daran, dass ein Gebet anderen Menschen in schwierigen Situationen helfen kann. Um über die stärkende Wirkung von Gebet  und die Einstellung der Kirche zum Selbstmord  mehr zu erfahren wende ich mich an Dr. Peter Deibler, Stadtpfarrer in Klagenfurt. An einem Nachmittag besuche ich ihn im Pfarrhaus und bei einer Tasse Kaffee ergibt sich folgendes Gespräch:

 Glauben Sie, Herr Deibler, dass religiöse Menschen psychisch gesünder sind, dass  Gebete, Rituale und Gesänge eine heilende Wirkung auf die Psyche haben und einen Selbstmord verhindern können?  Kennen Sie solche Erfahrungen von anderen Menschen und wie ist Ihre eigene Erfahrung?

D: Ich kenne und kannte viele verzweifelte Menschen, die gesagt haben, ohne Glauben hätten sie ihre menschlichen Krisen nicht durchgestanden. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Ursachen, wie Geldprobleme, Familienstreitigkeiten, Krankheit und Einsamkeit. Ich habe es oft von unglücklichen Ehefrauen gehört, dass sie ihren gewalttätig, alkoholisierten Mann, deshalb nicht verlassen haben, weil sie es als Gottes Auftrag verstanden haben, auszuharren. Ich selbst halte mich für relativ furchtlos und bin darauf eingestellt, Herausforderungen zu begegnen, da mich Gott auf meinen Weg begleitet.

Wie würden Sie einen Selbstmordversuch oder Selbstmord beurteilen?  Als momentanen „Aussetzer“ oder als stufenweisen Prozess, der langsam im Menschen reift und wo man langsam hineinschlittert?

D: Dazu möchte ich grundsätzlich sagen: Es gibt ja nicht DEN Suizid. Es gibt Verzweiflungstaten, Krankheiten und Ausweglosigkeit.

Ist es vorgekommen, dass sich jemand an Sie, als Seelsorger, gewandt hat  und seine Selbstmordabsicht geäußert hat? 

D: Nein, Absichten hat mir noch keiner gesagt, doch einmal. Ich erinnere mich jetzt, dass ich mit einem Lehrerkollegen vereinbart habe, bevor für ihn das Leben unerträglich wird, bevor er keinen anderen Ausweg sieht als sich vor die U-Bahn zu werfen,  soll er mich anrufen. Als letzten Anker, zu einem Gespräch. So eine Begegnung muss das damals gewesen sein.

Was sagen Sie als Seelsorger bei der Beerdigung eines Selbstmörders zu den verzweifelten Angehörigen? Bezeichnen Sie die Tat als menschliche Verirrung,  eine Verwirrung  der menschlichen Gefühle?

D: Bei einer Beerdigung rede ich nie über die Todesursache, sondern immer zum Trost der Angehörigen. Voriges Jahr in Villach hat eine Mutter den Schuss gehört, mit dem sich ihr erwachsener Sohn hinter der Zimmertür erschossen hat. Es war Liebeskummer, wahrscheinlich provoziert von der jungen Dame. Aber in Schuldzuweisungen finden Menschen keinen Trost. Es geht darum, das Unfassbare zu ertragen und auszuhalten, durch Beistand und Mitgefühl.

Wie ist die offizielle Haltung der katholischen Kirche zu den Selbstmördern? Begehen sie eine Todsünde? 

D: Die offizielle Haltung der Kirche? Angehörige und Betroffene sind besonders bedauernswert. Stirbt ein Mensch im Alter oder an einer Krankheit, so können das die Angehörigen leichter annehmen, weil es einen, für sie verständlichen Grund gibt.

Der Weltkatechismus (1857RP17)  definiert Todsünde so: Damit eine Tat eine Todsünde ist, müssen gleichzeitig drei Bedingungen erfüllt sein: Eine Todsünde ist jene Sünde, die eine schwerwiegende Materie zum Gegenstand hat und die dazu mit vollem Bewusstsein und bedachter Zustimmung begangen wird. Beim Suizid kann angenommen werden, dass die Freiwilligkeit und Lageabschätzung kaum gegeben sind. Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit sind gerade das Gegenteil von Freiheit.

suizid:todsünde II

An einem Abend vor einem Feiertag bin ich mit dem Intercity Zug von Klagenfurt nach Spittal/Drau unterwegs um das verlängerte Wochenende bei meiner Mutti zu verbringen. Der Waggon ist gering besetzt, auf der anderen Gangseite sitzt eine ältere Frau mit ihrem Enkel und erklärt ihm die Tiere im Bilderbuch. Ich lese im Buch “Verdrängen und Heilen”, Aufsätze zur Psychoanalyse, von Georg Groddeck und blicke zwischendurch auf den vorbeihuschenden Wörthersee. In Velden steigt eine junge Frau mit einer Reisetasche in den Waggon ein, eine Kurzurlauberin, denke ich. Sie blickt mich kurz an und lässt sich dann gegenüber von der Frau mit dem Enkel auf die Bank  fallen. Der Zug beschleunigt gerade, da spricht die junge Frau die Oma an.  Wie ein Dampfkessel der unter Druck steht, redet die junge Frau auf die ältere Frau ein und klagt ihr Leid: “Ich bin so niedergeschlagen, mich plagen so viele Ängste. Ich fürchte mich vor dem morgigen Tag, vor den nächsten Wochen und ich weis nicht, wie es mit mir weitergehen soll. Mein Freund hat mich vor drei Monaten verlassen, ein anderer Freund ist aus dem Fenster im dritten Stock in den Tod gesprungen und die beste Freundin ist vor kurzem an Brustkrebs gestorben. Diese Schicksalsschläge waren zu viel für mich, diese haben bei mir eine Depression ausgelöst. Die Therapie bei einem Psychologen hat bis jetzt nichts genützt. In meiner schlechten seelischen Verfassung  finde ich auch keinen Arbeitsplatz, es will mich niemand einstellen. Niemand kann mir wirklich helfen. Wenn ich in Schwarzach/St. Veit ankomme, dann mache ich Schluss, ich werfe mich heute vor ein Auto.“ Die ältere Frau hat ihr aufmerksam zugehört, versucht auf sie einzugehen und sie zu beruhigen: „Vielleicht können die Eltern oder die Geschwister etwas für sie tun. Denken sie an die möglichen gesundheitlichen Folgen bei einem Selbstmordversuch und welchen Schock dies beim schuldlosen Autofahrer auslösen kann. In ein paar Wochen kann sich ihre Situation geändert haben und sie werden wieder an etwas Freude finden.“ Ich kenne diese seelischen Abgründe und weis, wie unzugänglich Menschen in solchen Situationen für gute Ratschläge sind. Sie leben in einem abgeschlossenen Universum, wo sie nichts an sich heranlassen. Der Zug nähert sich Spittal/ Drau und ich bereite mich zum Aussteigen vor. Dabei ruft mir die junge Frau zu: „Beten sie für mich, beten sie für mich“. Vor dem Bahnhof erwartet mich meine Mutti und als erstes erzähle ich ihr von der verzweifelten Frau. Die Mutti sagt: „Lass uns nach Hause gehen und eine Tasse Tee trinken“.

suizid:todsünde

Heute,  ist Welt-Suizid-Präventionstag. Ein Tag, der der Verhinderung und Vermeidung von Selbstmorden gewidmet ist. Seit dreißig Jahren hat Kärnten eine der höchsten Selbstmordraten in Österreich. Auf jeweils hunderttausend Einwohner gerechnet gibt es jedes Jahr in Kärnten fünfundzwanzig Selbstmörder. Im Jahr 2010 haben sich in Kärnten hundertzehn  Menschen das Leben genommen. Zum Vergleich, im gleichen Zeitraum gab es zweiundvierzig Verkehrstote. Die meisten Suizide werden im Alter von siebzig bis achtzig Jahren verübt. Menschliche Isolation und als hoffnungslose empfundene Krankheitsdiagnosen könnten dafür ausschlaggebend sein. Dabei hat sich die Situation in den letzten drei Jahrzehnten in Österreich und in Kärnten stark verbessert. In den 70er Jahren gab es teilweise bis zu vierhundert Suizide pro Jahr in Kärnten. Diese Zahlen sind einer Presseausendung des Amtes für Statistik von Kärnten entnommen.

Der Selbstmord ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema, er ist nicht diskutabel und sein Vorhandensein wird gerne verleugnet. Die meisten Menschen akzeptieren ihn bei Künstlern, bei Schauspielern, Musikern und Schriftstellern. Bestürzung herrscht, wenn dies in der Nachbarschaft passiert, dies bedeutet, dass in der Dorfgemeinschaft etwas gescheitert ist. Das Scheitern wird nicht gerne zugegeben, dies war immer schon ein Manko, besonders in unserer Hochleistungsgesellschaft. Die Depression, ein möglicher Auslöser zum Suizid, wird heute mit dem Wort Burnout schöngefärbt. Depression klingt abstoßend, ekelerregend, erst recht, wenn es von einer Bekannten heißt, sie wurde in die Psychiatrie eingewiesen. Viele verweigern einen Krankenbesuch, sie halten die Depression für ansteckender als eine Grippe. Besser klingt es, wenn man in die Neurologie eingewiesen wird, dann gehen die Bekannten davon aus, dass eine organische Erkrankung zugrunde liegt. Nie würde ich anderen gegenüber äußern, dass ich schon mit Selbstmordgedanken gespielt habe. Eher würde ich meiner besten Freundin anvertrauen, wie ich es mir vorstelle, einen Mann aus dem Bekanntenkreis zu verführen.

 

uni:tag II

Als Selbstständiger war es für mich ungewöhnlich mich an Andere anzupassen. In den vergangenen Jahrzehnten habe ich Anderen vorgegeben wie eine Aufgabe gelöst wird. Dieser Umstand war bei Beginn meiner Unibesuche mein größtes Handikap, die Anpassung an das System. Beim Studium musste ich bestimmte Regeln einhalten und Aufgaben nach einem vorgegebenen Schema erledigen. Meiner Kreativität konnte ich nicht immer freien Lauf lassen. Im Hinblick auf die Note war ich mir unsicher, ob meine Phantasie von den Studenten, wie auch vom Professor verstanden wird.

Weiß man über das Thema einer Lehrveranstaltung ein wenig Bescheid, dann bemerkt man, wie wenig die Studenten wissen. Das geringe Allgemeinwissen der Studierenden hat mich erstaunt, sie hatten ja die Reifeprüfung abgelegt. Vieles interessiert sie nicht. In manchen Fällen hatte ich den Eindruck, dies ist eine Generation, welche sich nicht für gesellschaftliche und soziologische Vorkommnisse interessiert. Ihr Interesse beschränkt sich auf das Notwendigste, man will den Professor nicht herausfordern. Es gibt kaum Nachfragen und Einwände von ihrer Seite. Während der Vorlesung beschäftigt man sich oft mit den neuesten Postings auf Facebook. Als ich meine Erfahrung mit dem literarischen Schreiben, die manches Mal konträr zur Meinung des Professors gestanden ist in die Lehrveranstaltung eingebracht habe, bin ich wahrgenommen worden.

Im Moodle konnte ich verfolgen, dass viele ihre Aufgaben im letzten Moment eingereicht haben. Dem Inhalt dieser Arbeiten war anzumerken, dass sie nur um der Abgabebestätigung willen eingereicht wurden. Bei der Lehrveranstaltung “Schreiben & Publizieren” war jeder Autor zugleich auch Kritiker anderer Texte. Manche Texte waren sehr fantasievoll. In den zwei  Semestern „Schreiben & Publizieren“ habe ich eine Vielzahl von Texten und Beiträge geschrieben. Davon werde ich einige auf dieser Webseite unter der Kategorie „Uni Texte“ veröffentlichen.

Sprachlos.

uni:tag

Gedanken sollte man sich um die eigene Zukunft machen, auch wenn man  im Ruhestand ist. Nicht nur in die Vergangenheit zurückzublicken. Das Verharren im Gestern blockiert die Energie für die Zukunft. Man kann auf der Stufe des Erfolges und der gleisteten Arbeit der letzten Jahrzehnte kurz innehalten und dann diesen Lebensabschnitt abschließen. Die Meisten sind gegenüber ihrer vergangenen Arbeit zu selbstkritisch, selbst, wenn es zum Abschied Lob gegeben hat. Sie verlängern damit in die Pension hinein die Unzufriedenheit. Besser ist es mit den gelebten Jahre Frieden zu schließen. Neben dem  Beruf als Kaufmann habe ich bei der Organisation von kaufmännischen und kulturellen Veranstaltungen mitgeholfen. Ist der Wille vorhanden, zahlt es sich aus sich weiterzubilden: Mit dem Besuch einer Schreibwerkstatt, eines philosophischem Seminar und einer Vorlesung zur regionalen Geschichte.

Nach ein paar Semestern als außerordentlicher Student auf der Uni, kann ich vom Unialltag einiges erzählen. Ich, sechzig Plus, empfinde vieles anders, als die Studentinnen und Studenten, zwanzig Plus. Betritt man als Neuer die Aula der Alpenadria Universität, dann ist der erste Eindruck verwirrend, ein wenig chaotisch. In allen Ecken und Enden sitzen, stehen und plaudern junge Menschen. Der größere Teil von ihnen arbeitet am Laptop oder blättert am Handy. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man inmitten dieses Gewirrs von Stimmen, des Kommen und Gehens, seine Aufgaben erledigen kann. Zusätzlich werden dazu noch die Emails und die neuesten Postens auf Facebook und Twitter verfolgt. Am Buffet herrscht immer ein Gedränge, die Aufbruchsstimmung  macht die jungen Menschen hungrig. Ohne einen Sandwich und einem Coca Cola kann man nicht lernen. In meiner Jugend hat es geheißen: „ Ein leerer Magen studiert nicht gerne“.

Auszeit.