auto:bahn

Im Villacher Becken hatten wir eine sonnige, milde, erste Oktoberhälfte, in dieser Zeit habe ich mir erste Notizen für diesen Blogbeitrag gemacht. Auch weil in allen öffentlichen Medien die Aufrufe zum sparsamen Umgang mit der Energie, egal ob Benzin, Gas, Strom, Fernwärme & Warmwasser immer massiver geworden sind. Mir ist diese Dringlichkeit unwirklich vorgekommen, auf dem Balkon blühten die Rosen, die nahen Gärten waren voll mit Endiviensalat und Tomaten, rosaroten und violetten Herbstblumen. Die Sonnenstrahlen reichten aus um das Wohn- und Schreibzimmer zu beheizen. Wie Hammerschläge klopften die Worte Mobilitätswende, Energiekrise und Ukrainekrieg an die Glasscheiben der Schiebetüren vom Balkon.

Jährlich im Herbst wird versucht die Kärntner von den Vorzügen des öffentlichen Verkehrs zu überzeugen. Eine Woche lang haben alle die Möglichkeit Bus und Bahn gratis zu benützen. Die Partnerin und ich waren der Überzeugung, dass an einem Wochentag der Andrang zu der gratis Bahnfahrt nicht so stark sein wird, wie am Wochenende. Wir planten für den Mittwoch einen Stadtbummel in Klagenfurt und für die Hin- und Rückfahrt den Zug zu benützen. Eine Viertelstunde vor der Abfahrt waren wir in Villach am Bahnsteig. Durch die Zugfenster sahen wir, dass die Abteils schon gut besetzt waren. Auch hinter uns strömten weiter Menschen auf den Bahnsteig. Rasch stiegen wir in den nächsten Waggon ein und erwischten zwei freie Sitzplätze. Mich wunderte es nicht, wie steif und für sich abgekapselt die Fahrgäste auf den Sitzen saßen. Unter ihnen werden einige eher in Ausnahmefällen mit dem Zug fahren oder möglicherweise überhaupt das erste Mal. Wohl jeder wird sich an das geflügelte Wort aus Coronazeiten erinnert haben, Abstandhalten und Maskentragen. Hier sitzt man heute Jacke an Jacke, Sakko an Sakko, in einem überfüllten Zug, alle ohne Maske. Bei manchen ist das Lächeln im Gesicht zu Eis erfroren, kein Hallo oder ist der Platz noch frei.

traudi:harry

Zum Zahlen meiner Zeche betrete ich in der Bahnhofstraße in Spittal/Drau den Schankraum des Cafe Riedl. Gegenüber der Kellnerin erwähne ich beiläufig, dass ich in der Nachbarschaft vor fünfundfünfzig Jahren meine Ausbildung als Buchhändler gemacht habe. Damals gehörten zum Café ein Reisebüro und eine Fahrschule. Ein Haus weiter gab es die Stadtlichtspiele Spittal/Drau. Hier besuchte ich den Film Doktor Schiwago. Die Kellnerin weiß von der vormaligen Buchhandlung nichts, aber vielleicht die Chefin? Eine resolute Dame mit ergrautem Haar kommt aus der Küche. Der Gesichtsausdruck und die Art der Friseur erinnern mich an die hübsche Besitzerin zur Zeit meiner Lehrjahre. In meiner Zeit als Ladlschupfer war ich ein schüchterner Verehrer von Frau Riedl. Die Mama, meint die resolute Dame, ist vor ein paar Jahren verstorben. An das Papier- und Buchgeschäft kann sie sich gut erinnern, dort hat sie als Kind ihre Schulsachen eingekauft, bei der Frau Traudl.  Frau Traudl war während meiner fünf Jahren in der Bahnhofstraße die Erste Verkäuferin und Lehrmeisterin in der Papierhandlung. Heute würde man sagen die Lehrlingsausbildnerin im Papier- und Bürowarenbereich. Um die Ausbildung im Buchhandel hat sich der Chef selbst bemüht, respektvoll Herr Harald genannt. Frau Hertha, seine Frau und von Beruf Volksschullehrerin war zeitweise auch im Geschäft.

Nicht vergessen habe ich die Seniorchefin, die immer wieder einmal in den Laden gekommen ist. Frau Traudl hat sie gefragt, warum wir dieses und jenes im Betrieb anders machen als zu ihrer Zeit? Darüber hat sie sich auch bei Harry beklagt, der etwas genervt auf ihre Vorhalte reagiert hat: „Mama, dies ist heute anders“. Das Unverständnis darüber, was sich alles verändert oder was die Jugend anders macht, hat es auch schon vor fünfzig Jahren und vor fünfhundert Jahren gegeben. Bei aller Nostalgie möchte ich mir nicht vorstellen was Herr Harald dazu sagen würde, dass im ehemaligen Verkaufslokal der Papier- und Buchhandlung heute ein nationaler und internationaler Lebensmittel Markt eingerichtet wurde. Ich glaube, dass er kein Fan von Lebensmittel aus den Balkanländer wäre. Meiner Lebensgefährtin habe ich vorab per WhatsApp ein paar Foto aus dem türkischen Supermarkt geschickt. Daraufhin hat sie mir geschrieben: „Ich türkischer Lebensmittelverkäufer nix mehr Buchhändler“.

si:sissi

Sind wir bei der Garderobe und treffen die letzten Vorbereitungen um die Wohnung zu verlassen, verlässt die Wohnungskatze Sissi ihren Beobachtungsplatz auf der Couch und kommt in den Vorraum. Dort wartet sie auf das Öffnen der Wohnungstür um die Chance wahrzunehmen und einen Fluchtversuch in das Stiegenhaus des Palazzo Carinthia zu starten. Das Stiegenhaus ist ansonsten tabu. Bevor wir weggehen, zu einem Termin bei der Zahnärztin, in der Bäckerei am Hauptplatz sechs Handsemmeln kaufen und dabei die Kontoauszüge von der Bank abzuholen, streicht Sissi um unsere Füße. Sie hofft, dass sie noch mit ein paar Knuspertaschen verwöhnt wird, das Perlen des Trockenfutters lockt sie zu ihrem Fressplatz in die Küche. Damit vereiteln wir einen Fluchtversuch aus der Wohnung. Beim Heimkommen sind wir darauf gefasst, dass sie hinter der Eingangstüre auf uns wartet. Zumeist streckt sie sich am Schmutzläufer der Länge aus und will mit ein paar Streicheleinheiten begrüßt werden. Immer spekuliert sie, wie sie aus der Wohnung entwischen könnte. Ein- bis zweimal die Woche gelingt es ihr in das Stiegenhaus auszubüchsen. Das großzügig dimensionierte Stiegenhaus und die Eingangshalle, die Wohnanlage war vormals ein Hotel, ist für sie ein Abenteuerspielplatz. Die ersten vorsichtigen Schritte führen sie zur Wohnungstüre der Nachbarin und markiert dort mit ihrem Kopf den Türstock. Der Bezug zu der Nachbarin ist ausgeprägt, während des Urlaubs übernimmt die Nachbarin B. lobenswerterweise die Betreuung unserer Katze Sissi.

Weiter geht es den Gang entlang zu anderen Türen, ein Sprung auf den Blumentrog gehört dazu. Immer wieder blickt sie über die Schulter zurück um sich zu vergewissern, dass ich in ihrer Nähe bin. Dringt aus einer Wohnung ein lautes Geräusch gerät sie in Fluchtstimmung, wird eine Türe geöffnet startet sie durch. Sofort sucht sie Zuflucht in der Wohnung. Bleibt es ruhig, tappst sie einen Stock tiefer und markiert zwischendurch die Blumenvasen mit den Duftdrüsen am Kopf. Bevor es weitergeht macht Sissi einen vorsichtigen Blick durch das Stiegen Geländer, um auszuspionieren ob das Feld frei ist. Während sie langsam Stufe um Stufe hinuntersteigt gehe ich in die Eingangshalle voraus. Stiegensteigen dürfte keine olympische Disziplin für Katzen sein. Ich vergewissere mich, dass die Hauseingangstüren geschlossen sind. Mit aufmerksamem Blick starrt sie durch die Glastüren in das Freie, danach geht es einen Stock tiefer zu den Kellerabteilen. Jeder Auslauf bringt Neuentdeckungen. Nach einiger Zeit kommt sie zu meinen Füßen und mit einem leichten Schubs animiere ich sie die Stufen hochzuklettern. Diese schafft sie mit Bravour, von einem Plateau zum Nächsten startet sie durch.

kastav:kvarner

Kastav liegt auf etwa dreihundert Meter über dem Meeresspiegel und empfängt uns vor dem Stadttor mit einem lokalen Wochenmarkt und bietet einen Rundumblick auf die Kvarner Bucht. Die Zufahrt ist schmal, wird als Einbahnstraße geführt und hat für einen Erstbesucher nach jeder Kurve eine Überraschung bereit. Die Fahrt endet vor dem Stadttor mit der Suche nach einem Parkplatz. Ein historisches Städtchen mit einer Festungsmauer, eine Zeitlang stand die Bevölkerung unter der Herrschaft der Jesuiten. Verstört haben mich die Mauerreste einer monumentalen Kirche. Für ein, heute würde man sagen Bergdorf, ein Sakralbau mit überdimensionierten dicken Mauern, um Berge zu groß. Glaubt man der Information auf einer Tafel, dann ist nicht bekannt, ob die Kirche je ganz fertiggestellt wurde, bevor die Jesuiten die Herrschaft über Kastav abgeben mussten.

Die Ausstrahlung der Bergdörfer ist eine andere als die der mondänen Badeorte an der Küste. Aus dem felsigen Gelände wurde jeder Quadratmeter für die Steinhäuser gesprengt und in den Steinmauern finden sich die Felsbrocken wieder. In der Pfarrkirche von Kastav singt eine Pilgergruppe aus vollem Herzen und wohl auch aus tiefster Überzeugung Kirchenlieder. Zuletzt das Halleluja. Gegenüber vom Marktgelände sitzen wir im Gastgarten von einem Café, in der Mauer des Gebäudes ist ein Bankomat der Ersten Sparkasse eingelassen. Der Touchscreen des Bankomaten dient den halbwüchsigen Kindern des Ortes als behelfsmäßiges Tablett zum Spielen.   

Wie wird sich die heutige Zivilisation bei Ausgrabungen in zweitausend Jahren darstellen? Vorstellbar wäre, dass zufällig eine aufgelassene Mülldeponie betroffen wäre. Denken wir an die Ausgrabungsstätten aus der Antike, würde man unsere unverrottbaren Gegenstände für Grabbeigaben halten und über die Art der Verwendung rätseln? Wird man diese Fundstücke hochrechnen um unsere Kultur und Lebensweise zu verstehen Was würde bei einem angedrohtem Atomschlag von unserer Zivilisation übrigbleiben? Schöner, in ferner Zukunft könnten Außerirdische unserem Planeten Erde einen Besuch abstatten, wie werden sie mit uns umgehen? Wären wir für sie eine eigene Gattung von Tieren, gerade so wie Kühe, Giraffen und Bären. Aus dem Tageheft…

sylvia:carmen

Noch vernehme ich das Stöhnen und Wimmern des Karstfelsen, welcher für einen Hotelbau am Busbahnhof in Opatija mit schweren Bohrhämmern bearbeitet wird. Noch etwa eine Stunde bis zum Ende vom Sylvia Carmen Höhenweg in Volosko. Heute läuft es beim Wandern, holprig, heiß und ermüdend,  nicht so gut wie gestern auf dem Lungomare. Vom Ortszentrum in Opatija führt der Weg etwa zweihundert Höhenmeter steil nach oben, bis er von schattigen Bäumen gesäumt eben verläuft. Ein gepflegter Weg durch den Karstwald, zwischendurch gibt es einen Ausblick auf die Kvarnerbucht. Seit zwei Stunden bin ich unterwegs und bin dabei zwei Frauen mit Hund begegnet. In der Höhe ist es angenehm, leichter Wind, Vogelgesang, rechts und links mir unbekannte Pflanzen. Langsam vermisse ich, dass ich nichts zum Trinken und auch keine Süßigkeit bei mir habe. Es bleibt ungewiss wie lange es noch dauert bis ich eine Siedlung mit einem Café oder Kiosk erreiche. Ich war nahe daran an einem einzelnen Haus zu läuten oder in einen Garten einzudringen um mir einen Schluck Wasser zu besorgen. Kann man innerhalb von ein paar Stunden verdursten?

Als Erlösung entdecke ich einen übervollen Mülleimer am Wegrand und sehe diesen als eine erste Spur für eine kommende Zivilisation. Wenn hier so viele Abfälle angehäuft sind, dann muss es bis zur nächsten Siedlung nicht mehr weit sein. Müll, ein Zeichen des Homosapiens, eine Duftmarke der Zivilisation und dieser Witterung bin ich gefolgt. Die Abfälle signalisieren am Lungomare und am Carmen-Sylvia-Weg, dass man in die Nähe einer Ortschaft kommt, die nächsten Wegabschnitte belebter werden. Ein voller Müllkübel bedeutet auch das Ende der Abgeschiedenheit. Dazu zählen auch die aufkommenden Autogeräusche, welche im Wald die Hoffnung vermitteln, nicht gänzlich von der Zivilisation isoliert zu sein. Plötzlich geht der Weg steil bergab, mehrere Wohnblöcke werden sichtbar, dazwischen ein Flachbau mit der erlösenden Aufschrift Konzum. Der Lebensmittelladen hat bis Mittag geöffnet, jetzt ist es zwei Uhr am Nachmittag. Aus dem Tageheft…