pilger:wege I

Jetzt, wo in Südkärnten der tiefste Winter herrscht, Schneefall und Frosttemperaturen, nicht umsonst wird der Februar als der Höhepunkt  des Winters bezeichnet, locken die Reisebüros in ihren Schaufenstern mit den neuen Reisekatalogen. Bilder mit blauem Himmel, Sonnenschein, Palmen und braungebrannten Menschen. Bei diesem Anblick kriecht so mancher noch tiefer in seinen Mantel  hinein, schlägt den Mantelkragen hoch und zieht die Mütze über beide Ohren. Ich weiß nicht, wie viele Menschen, vor allem der zweiten Lebenshälfte, prozentmäßig in ihrem Innersten den Winter verwünschen. Sie wären gerne in einer wärmeren Region. Ein mildes Klima verursacht zumeist ein weniger an körperlichen Beschwerden, als das nasskalte Winterwetter. Jetzt droht die Gefahr an etwas so banalem, wie einem Schnupfen, Husten oder Grippe zu erkranken. An eine lebensbedrohende Lungenentzündung will niemand  denken. Kaum gibt es Schnee und Eis häufen sich auch die Ausrutscher, die können böse Folgen haben, einen Armbruch oder eine Prellung der Hüftknochen.

Ganz in uns freuen wir uns lieber auf den Sommer und meiden den Winter. Dies wagt sich  niemand öffentlich zu äußern, wir fürchten den Shitsturm der öffentlichen Meinung. Zudem kommt der Bannstrahl der Fremdenverkehrswirtschaft, die den Wintertourismus in Gefahr sieht,  wenn die Front der Wintersporturlauber abbröckelt. Wobei die meisten eine schöne Winterlandschaft genießen können, sich dabei umso mehr nach der geheizten Wohnung sehnen.

Durch die Säkularisierung unseres Alltags lassen die Besucherzahlen bei den Gottesdiensten nach, abgesehen von den hohen Feiertagen. In einem anderen Bereich bei der katholischen Kirche gibt es regen Zulauf. Sie haben eine Geschäftslücke entdeckt, die sich die einzelnen österreichischen Diözesen zu Nutze machen. Es gibt jetzt eigene Referate  für Pilgern und Reisen.  Diesen Erfolg  kann man in der wöchentlichen Kirchenzeitung, Sonntag,  nach verfolgen. Gibt es bei den Aktivitäten in der Erwachsenenbildung mäßigen Zuspruch, so herrscht bei den Fotoshooting der Pilgergruppen ein dichtes Gedränge, damit alle in das Bild kommen. Bei den Pilgerreisen verbindet sich die Reiselust der Menschen, die Neugier nach historischen Bauten, das Bedürfnis nach Spiritualität in angenehmer Gesellschaft und die Erkundung abwechslungsreicher Landschaften, zu einem gefragten Artikel.

Business.

glogg:nitz II

Es vergeht eine Halbestunde und der Herr erhebt sich wieder und wendet sich an einen anderen Mitreisenden. Sein Lamento ist ungefähr das Selbe, es sei für ihn unverständlich warum er, wenn er nach Gloggnitz will, durch Kärnten fahren muss. Inzwischen hat der Zug St. Veit an der Glan und Friesach passiert, halb beruhigt und halb von den Mitreisenden gebeten setzt er sich wieder nieder. Ständig blickt er auf seine Fahrplanauskunft und schüttelt immer wieder den Kopf. Nachdem  er zum Dritten mal aufsteht und wieder jemanden anspricht, erhebe ich mich von meinem Platz und gehe auf den Pensionisten zu. In ein paar Sätzen kläre ich ihn auf, dass dies wahrscheinlich die bestmögliche Zugsverbindung sei, wo er nur einmal, in Wiener Neustadt, umsteigen muss. Der EC-Zug hat inzwischen das Murtal erreicht und hält in Bruck an der Mur. Ich versichere ihm, dass ich Bescheid sage, wenn wir über den Semmering fahren und ich werde ihn beim Umsteigen in Wiener Neustadt behilflich sein. Es ist für mich kein Problem ihn auf den Bahnsteig 5A, zum Regionalzug nach Gloggnitz, zu begleiten. Ich werde ebenfalls in Wiener Neustadt umsteigen und habe einen längeren Aufenthalt.

Noch einmal erzählt er mir von seiner Kur in Bad Gastein, wo er seit zehn Jahren hinfährt. Das Essen sei jedes Mal vorzüglich, er verstehe aber nicht, warum ihm von seiner Pension für den Aufenthalt ein Beitrag abgezogen wird. Wohl deshalb, weil für die Ausländer der Aufenthalt gratis ist. Auf seinem Nebensitz liegt ein kleiner Reisewecker. Die Wecker-zeit ist auf 13 Uhr eingestellt, die Uhrzeit wo der Zug fahrplanmäßig in Wiener Neustadt ankommen soll. Seine Fahrt nach Gloggnitz sei eine Fahrt bis an das Ende der Welt, den Fahrplanausdruck bezeichnet er als eine Irreführung durch die Behörde. Er glaube nicht, dass ihm der Bahnhofsvorstand von Gloggnitz absichtlich einen Streich gespielt hat. Als wir den Semmering hochfahren erhellt sich sein Gesicht, er räsoniert aber immer noch kopfschüttelnd über seine Reise bis an das Ende der Welt. In Wiener Neustadt begleite ich ihn auf das Bahngleis 5A zum  Regionalzug nach Gloggnitz. Dankend steigt er  in den Zug, der in zehn Minuten abfahren wird, ein.

Bei meiner Fahrt von Wiener Neustadt nach Rohrbach-Vorau krabbelt mir in der S- Bahn ein Marienkäfer auf meine Hose. Die neue Art, welche aus Asien nach Mitteleuropa eingewandert ist. Da ich kein Zugfenster öffnen kann, bugsiere ich ihn in die Verpackungshülle einer Lind Schokolade und lasse ihn vor dem Tor des Stiftes Vorau frei.

Hin und retour.

glogg.nitz I

Wer sich dagegen sträubt mit der Eisenbahnbahn längere Strecken zurückzulegen, hier erzähle ich von einer Fahrt von Villach nach Wiener Neustadt. Wäre ich mit dem eigenen Auto zum Stift Vorau angereist, hätte ich diese Unterhaltung nicht erlebt. Wobei Bahn fahren auch für kurze Strecken eine unterhaltsame Alternative zum Berufsverkehr ist. Die Eisenbahn hat seit meiner Buchhandelslehre riesige Fortschritte und Verbesserungen erfahren. Die Waggons waren in den sechziger Jahren noch nicht nahtlos miteinander verbunden, man ist im Freien über eine Plattform in den nächsten Waggon gegangen. Beim Übergang konnte man auf die Anhängekupplung und die Puffer, sowie auf die dahin rasenden Eisenbahnschwellen  schauen. Die Übergänge waren durch einen einfachen Metallrahmen, den jeder jederzeit öffnen konnte, gesichert. Im Nahverkehr hatten die Waggons einfache Holzbänke und bei Bedarf  konnte man die Waggonfenster öffnen. Verboten war es Flaschen oder sonstige Gegenstände beim Fenster hinauszuwerfen. Zum Schließen der Fenster hat man an einem Ledergurt gezerrt. Es gab Raucher- und Nichtraucherwaggons. Sobald unsere Clique gesessen ist, haben wir ein Büschel Spielkarten aus dem Seesack gezogen und bis zum Aussteigen in Ferndorf Karten gespielt. Im Zug war es um vieles bequemer und vor allem gab es die bessere Luft als in den Postautobussen. Diese waren zu den Stoßzeiten  restlos überfüllt und die Luft sehr stickig.

Während ich es mir auf meinem Sitz im Eurocityzug bequem mache verlassen wir den Bahnhof Villach. Mit meinen Gedanken bin ich bei der Vorauslektüre für das literarische Wochenende im Stift Vorau. Ich bin schon gespannt, was die übrigen Seminarteilnehmer über das Buch, Das große Heft von Agota Kristof, zu berichten haben. Welche Gefühle und Empfindungen sie bei der Lektüre bewegt haben. Am Zugfenster rauscht der Wörthersee vorbei, drei Sitzplätze vor mir hat sich ein älterer Herr von seinem Platz erhoben. Er steuert auf die nächste Mitreisende zu und fragt sie, wann wir endlich in Gloggnitz ankämen. In der Hand hat er einen Fahrplanausdruck, den ihn der Fahrdienstleiter in Gloggnitz vor seinem Kurantritt in Bad Gastein mitgegeben hat. „Er könne nicht verstehen, warum wir jetzt am Wörthersee vorbeifahren, wo Gloggnitz gleich hinter dem Semmering liegt. Er müsse, da der EC- Zug nicht in Gloggnitz hält bis nach Wiener Neustadt fahren und dann mit einem Regionalzug wieder zurück nach Gloggnitz. Warum er jetzt durch Kärnten fährt, könne es sich nicht erklären, dies sei ja die total falsche Richtung. Er will dem Fahrdienstleiter von Gloggnitz nichts Böses unterstellen, aber dies sei ja eine Weltreise bis er von Bad Gastein nach Gloggnitz kommt“. Nach dem ihm die Nachbarin zusagt, sie werde ihm Bescheid geben, sobald  der Semmering und danach  Wiener Neustadt kommt setzt er sich beruhigt auf seinen Platz. Seinen großen Koffer, für den dreiwöchigen Kuraufenthalt, hält er mit einer Hand fest….

Fortsetzung folgt….

fata:morgana

An einem warmen Nachmittag, Anfangs September, sitze ich in der Loggia und vertiefe mich in die Wochenendausgabe der  Presse. Die ersten Seiten mit den Berichten über die Kriegsschauplätze im Nahen Osten und in der Ukraine, die neuerliche Diskussion über die Steuerreform und wie viel Milliarden braucht das Bundesheer, habe ich nur überflogen. Ich vertiefe mich in die Beiträge der Beilage Spectrum, da unterbricht die Feuerwehrsirene meine Gedanken, sie macht einen Schnitt in das Gehirn, wie ich es vom Sezieren kenne. Aus den Reagenzgläsern wird die gefaltete schwabbelige Masse herausgenommen und in Scheiben geschnitten. Die heutigen und gestrigen Akademiker schneiden mit derselben Absicht die Gehirnmasse in Stücke und sind verblüfft, wenn sie die Schnittfläche betrachten. Werden aus dieser Schnittfläche die Gedanken auf den Tisch tropfen, oder sieht man in einen menschlichen Abgrund? Die Teile werden gewendet unter das Mikroskop gelegt und ähneln dem Verhalten der Katze Undine. Bei der Fernsehsendung Universum,  über das Tierleben in den Wäldern Polens, hat sie gebannt auf den Bildschirm geblickt. Jedes Mal, wenn eine Wildkatze oder ein Fuchs aus dem  Bild verschwindet, blickt sie rechts oder links hinter den Fernseher. Irgendwo hinter dem Fernsehgerät, müsste die Wildkatze oder der Fuchs wieder auftauchen. So ähnlich blicken die Wissenschaftler auf die Hirnhälften, irgendwo müssten die Gedanken, das Bewusstsein zu sehen sein.

Ein paar Minuten vergehen und von der Bundesstraße ertönen die Signalhörner des Feuerwehrautos, gefolgt vom Notarzt- und dem Rettungswagen. Die Sirenen rasen in Richtung Autobahn. Auf der Alpen Adria Autobahn gehören die ersten Septembertage zu den starken Reisezeiten. Scharenweise fahren Familien mit schulpflichtigen Kindern aus dem Mittelmeerraum zurück in den Norden, für die Kinder steht der Schulbeginn unmittelbar bevor. In die andere Richtung fahren Späturlauber, welche die jetzt etwas ruhigeren Strände an der oberen Adria genießen. Noch einmal rast ein Rettungswagen durch das Kurgebiet. Ich befürchte einen Megaunfall auf der Autobahn, möglicherweise in einem Tunnel, wo es immer wieder zu Auffahrunfällen kommt. Viele sind zu schnell unterwegs oder auch von der langen, eintönigen Fahrt auf der Autobahn übermüdet. Inzwischen habe ich die Arme gesenkt und die Wochenendausgabe der Presse liegt auf den Oberschenkeln. Die üblichen Straßengeräusche setzen ein, ein leises Rauschen vom fließenden Verkehr. Nur die Geräusche der Motorrader sind als solche einzeln zu erkennen. Ich hebe meine Arme und nehme die Lektüre wieder auf, vertiefe mich in die Buchbesprechung von Alexandra Millner, Aus dem Kopf klopfen.  Der neue Roman von Josef Winkler.

Am nächsten und am übernächsten Tag studiere ich die lokalen Meldungen in der Zeitung genau, es gibt keinen Bericht, der einen Zusammenhang zu den Rettungsfahrten herstellt. Möglicherweise bin ich einer spätsommerlichen Fata Morgana aufgesessen.

Aus dem Kopf klopfen.

wohn:turm ll

In Villach gibt es bescheidene Wohnsilos, im Judendorfer Feld stehen mehrere zehngeschossige Hochhäuser, Wohnblöcke mit bis zu vierzig Parteien. Menschen, die aus Großstädten hierher kommen sagen, dies hat den Charakter eines kleinen Dorfes. Dazwischen finden sich kleinere Wohnanlagen, mit einer Eingangshalle, wie wir sie von Familienhotels kennen. Sie sind, passend zur Jahreszeit, dekoriert. Mit Weihnachtskugeln und Krippe, mit Girlanden und Faschingsmasken oder ein Strauß mit Sonnenblumen und Getreidehalmen. Dazu gibt es am Tisch Leckerli, die von den Hausfrauen zur Verfügung gestellt werden. Auf dem Weg zum Briefkasten können sich die Männer an den Süßigkeiten bedienen. Über einen längeren Zeitraum werden diese immer aufgefüllt.

Bei  den Mahlzeiten verhält es sich immer wieder so, dass die Männer das normale Menü und die Frauen das Seniorenmenü wählen. Die Frauen bestellen bei einer Hauptspeise, sei es ein Schweinebraten oder eine Pizza,  zumeist eine kleine Portion und die Männer normal.  Dies ist wohl noch ein genetisch geprägtes Verhalten, wo die Männer körperlich schwer arbeiten mussten und eine größere Essensration brauchten. Dies trifft nur mehr in wenigen Fällen zu. Zumeist behalten die Männer ihre Essgewohnheiten auch in der Pension bei und der Leibesumfang nimmt schnell zu. Bei den süßen Verführungen, welche die Frauen den Männern bereitstellen sollten sie zugreifen, anderseits aber abnehmen. Ein Teufelskreis, wie im Paradies bei Adam und Eva.

Sündenfall.