zug:fahrt ll

Mein Zugnachbar war Zeit seines Lebens als Betriebsschlosser in der Schuhfabrik tätig, hat aber aus Berufung gemalt. Seine Weiterbildung als Maler hat er dem bildenden Künstler Josef Gabler zu verdanken, bekannt durch seine Schwebeschaubilder. Josef Gabler hat ihn zu einem, von keiner Kunstakademie beeinflussten Stil ermutigt. Er hat erlebt, dass die Besucher einer Ausstellung oder beim Kauf eines Bildes danach schielen, ob der Künstler einen akademischen Grad hat? An zweierlei kann ich mich erinnern: Bei einem Besuch der Uffizien in Florenz bin ich bei der Fülle der ausgestellten Bilder dazu übergegangen, mich nicht auf das Gemälde einzulassen, sondern habe zuerst den Namen des Künstlers gelesen. War mir der Maler oder die Malerin geläufig, habe ich mir die Zeit genommen und das Bild betrachtet. Das Gegenstück war eine Parodie  auf der documenta in Kassel. Eine Hinterfragung des Kunstausstellungstourismus. Es wurden Miniaturbilder aufgehängt, Werke von bekannten Künstlern in Kopie. Der Name des Künstlers wurde in großen Lettern über dem Miniaturbild angebracht. Wen interessiert schon das Bild, der Name des Künstlers sagt alles.

Zu Kassel ist meinem Zugnachbarn der Name Joseph Beuys eingefallen, dieser hat dort anlässlich einer documenta tausend Basaltsteine abgeladen. Für jeden Stein wurde in Kassel ein Baum gepflanzt. Gegenseitig haben wir uns während der Zugfahrt Buchtipps ausgetauscht. Gerne lese ich Biographien von Barbara Beys, eine Verwandte von Josef Beys, wie über Paula Modersohn Becker, oder die Biographie über Sybille Merian. Seine Buch Empfehlung war Die letzte Bibliothek von Freya Sampson. Die Handlung erinnert ein wenig an die Bibliotheksschließung in Arnoldstein, zu wenig Auslastung. Neu ist in Arnoldstein eine Autorenbibliothek von Hans Haid. Ob die Feinheiten einer Autorenbibliothek, wie Widmungen, Anmerkungen des Lesers, Zeitungsausschnitte Aufnahme in das Register gefunden haben? 

zug:fahrt

Ihr Mann ist an Makula erkrankt und kann selbst nicht mehr lesen.

Beim Blättern im Tageheft 274 bleibe ich bei meinem Eintrag vom 2. Juni 2023 hängen. Ich war auf der Fahrt mit dem Zug nach Salzburg. Fünf Monate später versehe ich das Ereignis mit dem Zusatz, dies war vor meiner Hüftoperation, heute ist es nach meiner Hüftoperation. Der Zug, mit Abfahrt um 9.15 vom Bahnhof Villach war, wie zumeist, wenig besetzt und ich machte mich im Abteil gemütlich. Draußen huschte das Drau Tal bei Schönwetter vorbei. Grüner wird es rechts und links von der Drau in diesem Jahr nicht mehr werden. Als erstes zücke ich beim Zugfahren mein Tageheft, um die Beobachtungen aufzuschreiben, wenn es im Abteil etwas zum Entdecken gibt. Ein wenig die letzten Tage zu replizieren, welche im Tage Heft noch keinen Niederschlag gefunden haben. In Spittal an der Drau steigt ein Ehepaar mit Rucksack, Reisetasche und einer Einkaufstüte zu. Sie lassen sich bei einem Tisch vor mir nieder. Dem Benehmen nach vermute ich, dass der Mann sehbehindert ist. Die Frau reicht ihm einen Becher und ein Brot. Er klagt über Juckreiz und wird von der Frau mit einer Salbe versorgt.

Etwas später liest ihm die Frau aus dem Buch, Die Geschichte der Bienen, vor. Vor etwa einem Jahr habe ich von derselben Autorin, Maja Lunde, das Buch Die letzten ihrer Art, eine Pferdesaga gelesen. Ihre Stimme ist dezent, aber von meinen Einträgen lenkt es mich völlig ab. Ich kündige an, dass ich mich ein paar Sitzreihen vorne weiter niederlassen werde um konzentriert arbeiten zu können. Die Frau entschuldigte sich und erzählte, dass ihr Mann an Makula erkrankt ist und selbst nicht mehr lesen kann. In entdecke eine Ähnlichkeit im Gesicht mit einem Mann in Arnoldstein, der damals auch an einem Augenleiden laborierte. Auf diese Ähnlichkeit habe ich den Herrn angesprochen. Nein, sie leben in Paternion, ich bin vis a vis in Ferndorf aufgewachsen und dies hat uns, an sich fremde Zugreisende nähergebracht. Meine Familie war ihm bekannt, auch was wir Geschwister im Leben gemacht haben. Vom Maschinenhandel bis zum Fertighausunternehmen. Er hat gewusst, dass einer von uns Brüdern in den 70er Jahren eine kurze Zeit in der Schuhfabrik Gabor gearbeitet hat und später als Buchhändler selbstständig wurde.

stark:regen II

Nach dem letzten Hochwasser in Kärnten spricht man vom Hochwassertourismus.

Vom Politzner Berg schaute ich Tag für Tag auf die Drau, welche dem Tal ihren Namen gab. Bei Regen konnte man die Häuser am Talboden im Drautal sehen. Das Phänomen des Starkregen war zu dieser Zeit unbekannt. Die Talbewohner kannten in den Jahren vor 1980 die Risiken, wenn die Drau über die Ufer trat. Das mächtige Hochwasser in der Mitte der 60er Jahre erlebte ich als Jugendlicher vom Politzner Berg. Als ich morgens aufwachte hörte ich ein mächtiges Rauschen. Beim Blick aus dem Fenster sah ich eine sintflutartige Drau, die den ganzen Talboden bedeckte. Als ich diesen Sommer die Luftaufnahmen vom Hochwasser in Unterkärnten sah und wie die Einfamilienhäuser wie Spielzeughäuser vom DKT in den braunen Fluten standen, wiederholte sich für mich der Anblick vom Politzner Berg. Die Häuser in der Ortschaft Beinten wurden damals von den braunen Fluten der Drau umspült, teilweise bis in den ersten Stock. Das ganze Drautal war ein reisender Fluss. Eine Woche später sah ich die Felder und Äcker unter einem braunen Letten. Die Drau war in ihr Flussbett zurückgekehrt und schlängelte sich grünblau in der glitzernden Sonne zwischen den Erlenwäldern Richtung Villach.

Nach dem letzten Hochwasser in Kärnten spricht man vom Hochwassertourismus. Befeuert wird diese Manie durch die sozialen Medien, wo es darum geht als erster die spektakulärsten Bilder einer Katastrophe hochzuladen. Einerlei ob ein Feuersturm auf der Insel Rhodos oder ein Hochwasser in Kärnten. 

stark:regen

Das Zutage treten des Hungerbaches wurde als ein böses Omen verstanden.

Am ersten Wochenende im August 2023 kam es infolge eines Genua Tiefs in Südkärnten in vielen Gemeinden zu Überschwemmungen und Hangrutschungen. Diese extremen Wetterereignisse werden in den letzten Jahren mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht. Etwas kann ich aus eigener Erfahrung sagen, vor vierzig oder fünfzig Jahren war der Begriff Starkregen unbekannt. Bei Starkregen ist der Niederschlag so dicht, dass man die nächsten Häuser nicht mehr sehen kann. Für eine halbe Stunde entsteht eine Mauer aus Wasser, sintflutartig ist ein Wort, welches dafür verwendet wird. Dazu kommen oft orkanartige Stürme, wie wir sie in Kärnten vor der Jahrtausendwende nicht gekannt haben. Bei Sonnenschein kein Thema ist die Tatsache, dass die Rückhaltebereiche, gemeint sind Moore und Sumpflandschaften entlang der Bäche nicht mehr vorhanden sind. Zumeist werden diese Flächen landwirtschaftlich oder bautechnisch genutzt. Die Regenmassen sammeln sich im künstlichen Bachbett und treten später über das Ufern. In den Bergregionen durchschneiden Fortstraßen den Waldboden und die zumeist unbefestigten Böschungen sind der ideale Nährboden für Hangrutschungen. Eine Hand wäscht die andere.

Ein positiver Nebeneffekt der Regenperioden sind die frei zugänglichen Thermalquellen in Warmbad- Villach. Diese warmen Quellen treten nach starken Regenfällen an die Oberfläche, bekannt unter dem Namen Maibachl. Das Zutage treten der Quelle passierte früher zumeist nach Niederschlägen im Frühjahr. Inzwischen hält sich das Maibachl an keine Jahreszeit mehr und beginnt nach den Starkregen zu sprudeln. Im ersten Augustwochenende sprudelte auch die Quelle vom Hungerbach.  Das Herausströmen dieser warmen Thermalwasserquelle hat Seltenheitswert. Im vorigen Jahrhundert sprudelte der Hungerbach in großen Jahresabständen. Das Zutage treten des Hungerbaches wurde als ein böses Omen verstanden. Man befürchtete, dass in der Region ein Unglück passieren wird, ein Fingerzeig für Europa.

gabler:siedlung

Wie gestalten sich heute die Beziehungen zwischen Eltern und Kinder, zwischen den Großeltern und den Enkelkindern? Die liebgewonnenen Vorstellungen, dass die Kinder in nächster Nähe bleiben, in derselben Stadt eine Wohnung mieten oder kaufen wird immer unwahrscheinlicher. In den Landgemeinden von Kärnten war es in den sechziger und siebziger Jahre nicht ungewöhnlich, dass die scheidenden Kinder in der Nähe vom Elternhaus einen Grund gekauft haben und ein weiteres Einfamilienhaus errichtet haben. In der Gemeinde Ferndorf hat sich daraus eine dafür typische Kleinsiedlung, Sonnwiesen, entwickelt. Arbeiter, welche in der Heraklithfabrik gearbeitet haben. Auf Baugründen, welche von der Gemeinde zu günstigen Konditionen verkauft wurden. Die landwirtschaftlichen Flächen gehörten dem Maler Josef Gabler, der sich ab den 1960 Jahren völlig der Malerei gewidmet hat. Bekannt ist Josef Gabler für seine, von ihm so genannten Schwebeschaubilder. Die Perspektive auf seinen Stilleben- und Landschaftsbildern ist so gewählt, als würde ein Betrachter über dem Motiv auf dem Bild schweben. In seine Sichtweise konnte man sich hineinversetzten, wenn man sich vorgestellt hat, man ist ein Vogel und fliegt über das Drautal. Seine Bilder hängen in verschiedenen österreichischen Galerien, wie dem Belvedere.  

Heute würden wir sagen er hat sich, um eine Vorlage für seine Stilleben- und Landschaftsbildern zu erhalten, einer Drohne bedient. Josef Gabler hatte schon damals die Vision, dass sich die Welt von einer anderen Seite zeigt, allein durch die Veränderung des Blickwinkels. Wie oft machen wir uns die Mühe, den starren Blick zu verlassen. Im ersten Jahrzehnt wurde die neue Siedlung Gabler Siedlung genannt. Es wäre einem der wenigen Künstler aus Ferndorf geschuldet, dass man die Bezeichnung Gabler Siedlung beibehalten hätte. Ob der sonnigen Lage, auf der Sonnseite des mittleren Drau Tales, wurde die profane Bezeichnung Sonnwiesen vorgezogen.