mehr:meer

Was kann ich über das Jahr, seitdem ich in Pension bin, sagen. Wo habe ich mehr erreicht als während der Berufszeit. Unmöglich wäre der Besuch von Lehrveranstaltungen auf der Uni Klagenfurt  gewesen, wo ich mich mit dem  Schreiben auseinandergesetzt habe. Nach vorgegebenen Aufgabenstellungen und unter Berücksichtigung der Rechtschreibung, Orthografie und der Grammatik. Fehler in diesem Bereich wurden bei der Bewertung des Textes berücksichtigt, der wesentliche Aspekt  war die literarische Form und das sprachliche Ausdrucksvermögen.

Umgekehrt habe  ich meinen Literaturminiaturen weniger Zeit widmen können, anderseits habe ich den Anspruch für das Blog Schlagloch in die Höhe geschraubt. Ich habe mehr Korrekturen angebracht,  als dies vorher der Fall war. Ob dadurch die Texte an Spontanität eingebüßt haben, kann ich selbst nicht beurteilen.  Läuft dies ähnlich ab  wie bei der Verdauung,   dass je länger die Speisen  im Magen und  Darm verweilen umso mehr Nährstoffe werden aus den Lebensmitteln herausgefiltert.   Auch die Teilnahme an Workshop mit literarischen und religiösen  Themen war möglich.  Der Urlaub war,  wie  auch schon zu den Berufszeiten, ein Kuraufenthalt. Die körperlichen Beschwerden haben sich trotz Pension nicht aufgelöst. Manches Mal ist das Gegenteil eingetreten, dass ich meinen Körper mehr beobachte und auch kleine Beschwerden, Schmerzen und Veränderungen wahrnehme. Im Beruf hat man keine Zeit diese kleinen Unbilden wahrzunehmen. Da wird das Meiste von den Aufgaben überdeckt. Die Idee aus Langweile oder aus Neugier zum Arzt zu gehen, kann einem im Berufsalltag nicht kommen. Es kann sein, dass man für seine Neugier durch den Arzt mit einer Diagnose bestraft wird.

Immer wieder  stellt man sich die Frage, ob man jetzt zu den älteren Leuten gezählt wird. Irgendwann wird man dann  von jemandem getröstet der sagt, dass das Alter erst mit 65 Jahren beginnt.  Wird man 65 Jahre alt sein, dann wird sich jemand finden der sagt, das Alter fängt mit siebzig Jahren an.  Und vielleicht verspricht dann die Medizin,  dass niemand vor Neunzig sterben muss.  Ein wirksames Mittel gegen Schnupfen wird es immer noch nicht geben.

Jung mit 66.

frauen:arbeit

Auf einem Felsen in der Nähe von Villach befindet sich die Wallfahrtskirche Maria Gail, zu deren Füßen der Tennisplatz und der Fußballplatz. Bei meinen Ausfahrten mit dem Fahrrad, von Judendorf über Warmbad nach Tschinowitz, ein Lieblingsplatz für ein kurzes Innehalten. Vor dem Vereinsgebäude des Fußballclubs laden Bänke und Tische zum Sitzen ein. Der ideale Ort um eine Pause einzulegen, einen Blick auf die Bergspitzen der Julischen Alpen zu werfen und die aufkeimenden Gedanken in meinem Notizbuch festzuhalten. Gelegentlich den Traum der vergangenen Nacht zu klären oder auch nur dazusitzen und mich in das Magnetfeld der Wallfahrtskirche ober mir einzuklicken. Im Clubhaus befinden sich die Aufenthalts- und Umkleideräume, sowie die sanitär Räume, die Duschen und die WCs.

Täglich reinigt in aller Früh eine Frau die Vereins- und Sanitärräume und den Vorplatz des Clubgebäudes unentgeltlich. So strahlt dieser Platz, wie viele andere Vereinsanlagen rund um Villach, Sauberkeit aus. Bei den meisten Vereinen herrscht die traditionelle Rollenverteilung. Die Männer kümmern sich um die öffentlichen und die organisatorischen Angelegenheiten, die Ehefrauen oder Witwen um die Sauberhaltung der Anlagen. Ihre Mithilfe wird gewünscht,  wenn es gilt ein Vereinsfest zu organisieren und die Gäste zu bedienen. Dazu kommen noch die Salate vorzubereiten und einen Kuchen zu backen.

In der Wallfahrtskirche ist die Rollenverteilung ähnlich, der Pfarrer tritt in der Öffentlichkeit auf, die Frauen erledigen die Putz Arbeit und sorgen für den Blumenschmuck im Kirchenschiff. Es ist einerlei, ob Sportler- oder Pfarrfest, es braucht die Unterstützung der Frauen.

Ein Stück weiter begegne ich auf dem Feldweg, der die Gail entlang führt, einer Hasenfamilie. Sie zeigt keine Scheu und verschwindet ohne Hast im naheliegenden Acker . Ob es bei ihnen auch die traditionelle Rollenverteilung gibt? Wer wohl bei der Hasenfamilie die Stallarbeiten macht?

Frauenarbeit.

ver:öden II

Bei den Bahnreisen ist der große Boom vorbei, so verkommen in manchen Städten die Bahnhofsviertel. Über Jahrzehnte wurde die Automobilität gefördert, viele Gleisanlagen und Lagerhallen veröden. Die Zukunftsaussichten sind trostlos. Es werden Versuche gestartet, über diese verlassenen Gegenden eine pulsierende Verwendung darüberzustülpen. Verwertungsgesellschaften werden beauftragt, in verschiedenen Kanälen zu suchen, um eine neue Verwendung zu finden. Die Errichtung eines Shoppingcenters kann eine trostlose Gegend retten und dafür werden in der Innenstadt Geschäftsflächen dem Verfall preisgegeben.

Viele Wörter und Begriffe veröden im Alltag und vertrocknen, weil sie nicht mehr benützt werden. Im täglichen Umgang erregen diese Ausdrücke bei anderen Menschen Unverständnis. Das Veröden der Gedanken hat Tradition und wo sind die Wortarbeiter, die diese Ödnis wieder aufforsten?

Im Bergsturzgebiet des Dobratsch gibt es Geröllhalden von großem Ausmaß, über Jahrhunderte war diese Gegend unfruchtbar. Der starke Überlebenswille der Natur hat diese Landschaft der Ödnis entrissen. Ein besonderes Erlebnis ist für mich eine Wanderung durch diese Wildnis, nirgendwo sonst komme ich der Natur und mir, so nahe wie hier. In meinem Innersten öffnet sich eine Wiese, auf der Gladiolen und Narzissen blühen. Meine innere Ödnis verwandelt sich beim Wandern von Judendorf nach Oberschütt in ein ökologisches Paradies. Am Rand der Magerwiese sitze ich auf der Bank, wo ich mir vor Jahren die Frage gestellt habe: Wer steuert die Schmetterlinge?

Ein öder Text.

ver:öden

Dies war ein öder Tag, mit diesem Gedanken liege ich im Bett und weigere mich einzuschlafen. Im Inneren hadere ich mit dem verflossenen Tag. Beim Erwachen hatte ich den Tag anders geplant. Einen flotten Tagesanfang mit ein wenig Gymnastik und dann zum Munterwerden eine Runde Radfahren am Drau Radweg. Für das trübe Herbstwetter kann niemand etwas dafür. An der falschen Wettervorhersage sind die Mitarbeiter der Wetterstation Klagenfurt schuld. Ein Ausläufer des Italiens Tiefs ist, wie in den Abendnachrichten angekündigt, nicht abgezogen. In der Vorhersage wurde für heute Sonnenschein angekündigt und nichts sonst. Der Regen hat beim Radausflug nur eine Sparvariante zugelassen, trostlos. Diese führte eine Wegstrecke, die ich schon oft gefahren bin. Dabei gab es nichts Neues, nur das Wasser der Drau war besonders schmutzig und auf der Wasseroberfläche trieben Kleinholz und Plastikflaschen daher. Bei bewölktem Himmel und der braun gefärbten Drau kommt keine Freude auf. Meine Stimmung will ich nicht beschreiben.

Bei verschiedenen Beschwerden stellt man eine künstliche Ödnis her. Bei Venenproblemen werden diese bei den Beinen und beim Darmausgang verödet. Die Elastizität ist erschöpft und es wird eine unfruchtbare Landschaft geschaffen. Körperteile haben ihre Aufgabe erfüllt, sind schlaff geworden und der Ausweg besteht darin, sie absterben zu lassen. Nicht die Wiederherstellung der Funktionen hat Vorrang, mit Vorsatz wird ein öder Zustand geschaffen. Spezialisierte Fachärzte veröden wichtige Funktionen. Was können verödete Beine und Schließmuskel noch leisten?

Der Wildnis zu entkommen ist im Leben unmöglich. Schlechte Erlebnisse machen ganze Lebensabschnitte unfruchtbar. Kommt man wieder zu Kräften, wäre es die erste Aufgabe, die steinigen Landschaften aufzuforsten. Brachliegende Steinhalden und Almwiesen werden in den Alpen renaturiert.

Schlaflos.

augen:licht II

Erzählen andere von ihren Sehschwächen kann ich mit ihnen mitfühlen. Das Ticken bei Kreuzungen kündigt die Grünphase für sehbehinderte Personen an. In der Draustadt begegne ich öfters einem Mann, der mit Blindenhund, Blindenstock und Blindenarmbinde unterwegs ist. Ich staune darüber, wie schnell er sich auf dem Gehsteig fortbewegt und ein Geschäft betritt. Er und der Blindenhund sind ein eingespieltes Team.

Spaziert man auf den Marxrainweg von Judendorf in das Zentrum, dann geht man an einigen überdimensionierten Plakatwänden vorbei. Da ich weiß, wie wichtig das Augenlicht für jeden ist, fühle ich mich von dem Plakat der Initiative „Licht für die Welt“ angesprochen. Sie bitten um Unterstützung, damit sie anderen das Augenlicht erhalten können. Das neueste Plakat hat sofort meine Aufmerksamkeit erregt: Ein Foto von einem afrikanischen Mädchen, vor dem Hintergrund der afrikanischen Savanne, in Sepia Ton. Das Mädchen trägt eine Augenbinde, dazu der Text: „Ich werde wieder sehen. Schenken sie einem Menschen mit einer Spende von € 30.– sein Augenlicht wieder“. Dieser  Aufruf nimmt in etwa ein Drittel der Plakatwand ein. Zwei Drittel sind mit grellen Artikeln eines Möbelhauses plakatiert, es gibt seine Neueröffnung in der Draustadt bekannt. Mir kommt der symbolische Gedanke was sieht das Mädchen, wenn es die Augen öffnet. Da wären poppige Schuhlöffel, das Stück für 69 Cent,  Kissen in Trendfarben zu € 8.99 und zu jedem Stück ein T-Shirt gratis. Tischleuchten in Intensivfarben,  jedes Stück für € 3.– und  ein Funktionssofa in schwarz oder weiß  um € 199.–.  Das Unternehmen mit dem rosa X verkündet: „Sieht doch gleich besser aus“. Sieht die Welt besser aus weil es ein Möbelhaus mehr gibt, das Fünfte in der Stadt, bei zirka 50.000 Einwohnern. Die Ossiacherstraße ist die Möbelmeile.

Hinsetzen.