ALT:werden

Es vergeht kein Tag, an dem man nicht etwas zur demografischen Entwicklung der Bevölkerung in Österreich aus den Medien erfährt, und es stimmt, wir werden älter. Auch die Buchverlage haben entdeckt, dass dieses Thema ein Hoffnungsmarkt ist, eine Marktlücke. Man versucht anderen Branchen, wie Seniorenreisen, Nahrungsmittelergänzungen oder Bekleidung für Senioren nachzueifern. Die Bücher, welche sich mit der Lust, der Freude und den Beschwerden beim Altwerden beschäftigen, sind so zahlreich wie die Bäume am Waldesrand. So gibt es die Spezialisten, ob Theologe, Philosoph, Internist, Sportarzt, Hirnforscher oder Psychotherapeut, die selbst in das reife Alter gekommen sind und alle verfassen einen Ratgeber über das Älterwerden. Eines ist unumstößlich, am Älterwerden kann niemand etwas ändern, kein Ratgeber und kein Sachbuch, ändern kann man seine Einstellung zum eigenen Körper. Die Gebrechlichkeit des Leibes annehmen, zur Kenntnis nehmen, dass man verschiedene Aufgaben nicht mehr so schnell erledigen kann. Angefangen beim Gehen, besonders das Aufwärtsgehen, beim Essen, man verträgt nicht mehr alle Speisen gleich gut.

Nach einer Geburtstagsfeier im Familienkreis wird oft gesagt, jetzt ist die Tante schon fünfundsiebzig Jahre alt und noch immer „gut drauf“. Das bedeutet, dass sie sich drei oder vier Stunden von ihrer besten Seite gezeigt hat, meistens ohne körperliche Anstrengungen. Familienfeiern haben viel mit Sitzen zu tun, man muss die Feier absitzen, so wie man eine Strafe absitzen muss, obwohl man nichts Unrechtes getan hat. 

 Professor Ernst Pöppel hat sich aus der Sicht der Hirnforschung mit dem Alter beschäftigt, und den Schluss gezogen: „Je älter umso besser“, so der Buchtitel. Zitate aus dem Buch: „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische,sondern dass sie ist.“ „Heutzutage denken viele Menschen zu egoistisch“. „Altern bedeutet, vom Müssen zum Wollen gelangen. Es ist die geschenkte Freiheit nicht zu müssen“. 

Es gibt für jeden zeitlose Momente, wie am Meer zu sitzen, die Wiese zu betrachten, seinen Körper zu spüren und sich innerlich jung fühlen. Der Verstand versteht es nicht, dass man körperlich betrachtet bald das sechzigste Lebensjahr erreicht, aber tief im Inneren fühlt man sich so, als würde man als Dreißigjähriger am Meer sitzen. Das Gefühl macht den Alterungsprozess, wie es  für die die Haut oder die Muskeln gilt, nicht mit. Dazu sagt die Psychotherapie, dass die Gefühle nicht altern müssen, dass man im Alter genau dieselben Gefühle haben kann wie in jungen oder mittleren Jahren. Wie wäre es sonst möglich, dass sich ältere Leute, über Siebzig, noch genauso verlieben können wie Zwanzigjährige.

Ewige Liebe.

SICHERHEIT:risiko

Jeder hat andere Vorstellungen von Sicherheit und Risiko, welche Sicherheiten er sich wünscht und braucht, welche Risiken er bereit ist einzugehen. Die einen wünschen sich ein risikofreies Leben, sie entscheiden sich bei der Berufsausbildung und später bei der Arbeitsstelle danach. Dabei wird das Kind von den Eltern unterstützt und versuchen es bei sogenannten krisenfesten Firmen, meistens sind dies halbstaatliche Firmen oder öffentliche Körperschaften unterzubringen. Man hofft, dass der Sohn bei einem staatlichen Energieerzeugung nach der Lehre dort einen lebenslangen Job haben wird. Viele Absolventen der Handelsakademie oder des Gymnasium drängt es in den Verwaltungsbereich, wie Gemeindeamt, Bezirkshauptmannschaft oder Landesdienst. Dort ist auch der Pförtner und das Küchenpersonal pragmatisiert.

Die Berufsentscheidung wird danach ausgerichtet, welche Sicherheiten gibt es und nach wie vielen Dienstjahren kann man in Pension gehen. In den letzten Jahren ist in Österreich die Pragmatisierung den Reformen zum Opfer gefallen. Es klingt nicht trendig, wenn man sagt, dass die Tochter, der Sohn, bei der Bahn oder der Post einen Job hat, aber es hört sich krisenfest an. Man weiß, dass sie oder er durch eine starke Gewerkschaft vertreten wird, die sich gegen jede Bundesregierung mit ihren Forderungen durchsetzen konnte. Zuletzt haben die Schulden der staatlichen Betriebe das Budget so stark belastet, dass vieles privatisiert wurde. Damit sind auch viele Privilegien verloren gegangen.

Kommt man in die Landeshauptstadt und spaziert ein wenig durch die Innenstadt, dann können einem die Gebäude der öffentlichen Stellen beeindrucken. Sei es der Sitz der Landesregierung, das Landesgericht oder die Wirtschaftskammer. In diesen vielen, meist hohen Räumen, sitzen überall Beamte, die alles festhalten von der Geburt bis zum Tod. Hier wird geherrscht, es geht eine Macht aus. Um vieles größer sind die Verwaltungsgebäude in Wien.

Verwaltungsreform.

HÖRIG:keit III

Das Wort Hörigkeit bringt man  meistens mit menschlichen Gefühlen in Verbindung. In den verschiedenen Lebensphasen kommt es zu wechselnden Abhängigkeitsverhältnissen. Die meiste Anhänglichkeit gibt es in der Kindheits- und Jugendphase, zu den Eltern, Lehrer oder  Präfekten. Das Internatsleben führt schon in frühen Jahren zu einer Abnabelung von den Eltern und verursacht bei vielen Heimweh. Dort hofft man auf die Gunst des Präfekten. Bei einer Schar von sechzig Kindern, in einer Schulstufe, geht es im  Studiersaal und in den Schlafsälen, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, um Ordnung und Gehorsam, nicht um Zuwendung und Aufmerksamkeit.

Ein Kreuzzeichen auf die Stirn vor dem Schlafengehen bedeutete ein Auserwählter zu sein. Das Kreuz wurde mit dem Fingernagel eingeritzt. Man versucht das Kreuz abzuschütteln, es glingt in den wenigsten Fällen, außer es ist jemand bereit das Kreuz mitzutragen. Nicht für einen lokalen Kreuzweg zur Osterzeit, für ein Leben lang. 

Es gibt Kinder, die sich der Hörigkeit durch musikalische, literarische oder malerische Begabungen entziehen. Sie leben in ihrem eigenen musischen Kosmos. Das Gefühl der Hörigkeit gegenüber jemanden, der einen aus der Not des irdischen Alltages gerettet hat, kann einen ein Leben lang begleiten.

Befreiungsschlag.  

HÖRIG:keit II

In meinem Geburtsort gab es in einer kleinen Ortschaft eine Schneiderei, der “Avemichlschneider”, er arbeitete allein in seiner Werkstatt. Er war von kleiner und zarter Statur, gerade so, wie die Schneider in den Lesebüchern dargestellt werden. Bevor ich in ein Internat kam nahm der Schneidermeister an mir Maß und fertigte für mich einen Kärntneranzug an. An zwei Sonntagen musste ich zur Anprobe vorbeikommen. Diesen Anzug trug ich im Internat zu allen festlichen Anlässen. In den Ferien wurde der Anzug in die Schneiderei gebracht, um ihn an mein Wachstum anzupassen. In der vierten Klasse passte schon vieles nicht mehr, die Ärmel und die Hosenröhren waren zu kurz, ich hatte sogenannte „Hochwasserhosen“. Der Rock war mir zu eng, ich konnte ihn nicht mehr zuknöpfen. Im Sommer war dies kein Problem, aber im Winter war es bitterkalt und es sah unordentlich aus.

Der Sohn erlernte den Beruf beim Vater und erweiterte die Schneiderei um eine Fertigungshalle für Hemden. Darin beschäftigte er etwa fünfzig Mitarbeiter, hauptsächlich Frauen. Er produzierte für verschiedene Versandhäuser Modehemden und -blusen. Die Modehäuser drückten, trotz gestiegener Lohn- und Materialkosten, jedes Jahr den Preis für die Hemden und Blusen. Er erhöhte den Druck auf die Arbeiterinnen und versuchte durch eine straffere Produktion die Rabattforderungen aufzufangen, bis er in den Konkurs schlitterte. Gegen die Konkurrenz aus dem fernen Osten, nachdem man vorher in Spanien produzieren ließ, wäre er so und so chancenlos gewesen.

Handgenäht.

HÖRIG:keit

Es gibt vielerlei Arten von Abhängigkeit, solche die mit wirtschaftlicher, menschlicher oder religiöser Natur zu tun haben. Manche kleinen Handwerksbetriebe haben oft nur einen größeren Auftraggeber und dieser entscheidet über den wirtschaftlichen Erfolg. Zum Jahreswechsel bemüht man sich, dass man auch für das neue Jahr mit Aufträgen bedacht wird. Von einem Schlossereibetrieb weis ich, dass zwei Drittel seines Umsatzes darin bestand, für eine Fertighausfirma die Eisenverbindungen herzustellen. Die Geschäftsverbindung ist durch einen Hausverkäufer aus dem Familienkreis zustande gekommen. Durch ihn hat man erfahren, dass viele „Verbindungen“ pro Haus notwendig sind. Nach einem Vorstellungsgespräch und einem Angebot hat man den Zuschlag für die Fertigung der Eisenverbindungen bekommen. Die ortsansässige Schmiede war die Arbeit los.

Vor jedem Jahreswechsel machte man sich darüber Gedanken, mit welchem Präsent man den Firmenchef der Fertighausfirma überraschen könnte. Es sollte etwas Originelles, nichts Alltägliches sein und nicht den Eindruck erwecken, man möchte damit etwas erreichen. Die Schlosserei profitierte von den laufenden Bestellungen. Bei einem Geschäftsbesuch wurde mitgeteilt, dass eine andere, eine größere Firma, die mit Schneide- und Schweißautomaten arbeitete, in Zukunft die Eisenverbindungen, zu einem günstigeren Preis, liefern wird. Als Trostpflaster versprach man, die Spezialeisenverbindungen, weiterhin bei ihnen zu bestellen.

Fassungslos.