KEUCH:husten

Im ersten Drittel des Schuljahres werden oft die Weichen dafür gestellt, ob ein Schüler dem Unterrichtsstoff  folgen kann oder nicht, ob er ein  schlechter oder ein guter Schüler sein wird, dies gilt auch für Schulanfänger. Vieles, hat man es in den ersten Monaten durch eine Krankheit oder Unfall versäumt, kann nicht mehr nachgeholt werden. Bei mir war es ein Keuchhusten, dass ich in der ersten Volksschulklasse nach dem Schulbeginn zu Hause bleiben musste. Nach den ersten Hustenanfällen hat mich die Mutter in das Bett geschickt, wo ich mich eingeengt fühlte und darauf drängte, dass ich ins Freie, in die frische Luft konnte. Dies wurde abgelehnt. Da sich der Husten nicht gebessert hat, wurde ein Arzt aufgesucht, der bei mir einen Keuchhusten diagnostizierte. Er hat den Eltern geraten, dass ich mich tagsüber im Freien aufhalten soll, dort würde der Husten schneller abklingen. In den nächsten Wochen bin ich in der Früh in der Hofeinfahrt gestanden und habe den Kindern, die zur Schule unterwegs waren, wehmütig nachgeschaut. Nach ein paar Wochen begleitete mich der Vater in die Schule und sagte zur Lehrerin: „Do is da Bua wieda .“ Der Drang, bei körperlichen Beschwerden in das Freie zu gehen, am liebsten in den naheliegenden Wald, ist mir erhalten geblieben.

Die Natur heilt.

urban:VIII

Er hatte auch heute nach dem Wachwerden auf die Straße gehorcht, um zu hören, welcher Tag ist, ein Wochentag, ein Samstag oder ein Sonntag? Urban braucht dazu keinen Kalender, er horcht auf die Geräusche der vorbeifahrenden Autos. An Wochentagen ist in der Früh  starker Berufsverkehr, an Samstagen sind es bedeutend weniger, an Sonntagen ist es in der Früh auf der am Haus vorbeiführenden Straße fast autoleer. Urban orientiert sich an seinem Autoverkehrskalender, womit sich gut Wochentage, Samstage und Sonntage unterscheiden lassen. In seinen Rückblicken stößt Urban auf eine Begebenheit, die verursacht hatte, dass beim zweiten Spaziergang die Erfahrungen des ersten Spazierganges ihn zu einer Folgereaktion veranlassten. Beim ersten Spaziergang hatte er sich vor einem Stück Schlauch,  welches am Schotterweg lag, gefürchtet. Er hatte später gesehen, dass dies ein Schlauch war und keine Schlange, aber einer Schlange sehr ähnlich war. Seine Furcht war Schlangenbezogen. Beim zweiten Spaziergang war Urban auf den Schlauch, vor dem er noch immer eine schlangenbezogene Angst verspürt hatte getreten, um darüber hinwegzukommen. Es war in ihm eine vom Gefühl her berechtigte Angst, die aber gegen sein Wissen stand.

Er vermutet jetzt, dass er nach Überwindung der Gefühlsangst den Wind gespürt hat, der während der  Zeit des Gehens vorhanden gewesen sein wird, weil in der Schütt immer der Wind weht. Dies war einer der Gründe, weshalb er hier spazieren ging. Anstatt der Zuneigung für den Wind, begann er den Wind abzulehnen. Zuerst die Vorliebe und jetzt der Hass. Ihm war  zu viel, dass der Wind andauernd wehte, er wünschte sich ihn nur zeitweise.  Er sieht in der Zuneigung die Abhängigkeit, Hass ist Zuneigung.

ZU:kunft

In diesem Jahr, wo man auf eine Entspannung in der Wirtschaftslage, auf eine Stabilisierung der Währung und einer Besserung am Arbeitsmarkt hofft, klammert sich die mittlere und ältere Generation noch stärker an der Vergangenheit fest. Nicht nur bei Glückwünschen, auch bei einem kurzen Plausch auf der  Straße gibt es beim Verabschieden den Wunsch, dass alles so bleibt wie es ist. Man hofft, dass die Zeiten nicht schlechter werden, dass man von seinem Lebensstandard keine Abstriche machen muss. Der Historiker Philipp Blom meinte: „Die Europäer, die Österreicher, wollen nur Gegenwart, dass alles so bleibt wie es ist, dass es nicht schlechter wird.“ Wer keine Veränderung anstrebt, wer auf Stillstand beharrt, gefährdet den Wohlstand der Gegenwart. Die Zukunft nicht mitzugestalten, sie  abzulehnen, bedeutet sein Leben aus der Hand zu geben.

In der Altstadt von Hallein hat die Zukunft schon begonnen. An die kleinen Räume in den historischen Gebäuden, im Erdgeschoss mit Gewölbedecken, darf man keine hohen Ansprüche stellen. Dort haben sich ein türkischer Gemüseladen, ein anatolischer Backshop, ein Handyparadies und mehrere Kebab Imbisstuben eingemietet. Die großen Handelsketten haben die Innenstadt schon lange verlassen und sich am Stadtrand, an den Einfallstraßen, mit den besseren Parkmöglichkeiten niedergelassen. Geblieben ist im Zentrum das Mädchenpensionat der katholischen Schulschwestern, mit dem Spruch  an der Hausmauer : „Was wir haben, sind Gottes Gaben“. Dieser Spruch weist im Umfeld einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung anarchistische Züge auf. Über die Hälfte der Schulkinder, die das Keltenmuseum besuchen, hat eine andere Hautfarbe. Afrikalok.

urban:VII

Urban sieht in seiner Erinnerung das Gesicht eines Jägers in einer der Jagdhütten, nicht identisch mit dem vermeintlichem Jäger, welchen er den Schuss von der gegenüberliegenden Bergseite zugeordnet hat. Dieser gesehene Jäger würde Urban vielleicht folgendermaßen beobachtet haben:

Ein junger Mann schlendert ohne Eile den Staudamm entlang. Er richtet seinen Blick in den Wald, auf das Wasser oder gegen den sich jäh emporrichtenden Berg. Sein Blick ist einmal nach außen gerichtet, das andere mal nach innen. Seine Bewegungen haben etwas nachdenkliches an sich, man kann nicht erkennen was er denkt und wie er denkt, es lässt sich nur mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass er denkt. Während des Dahinschlendern macht er sich Notizen, obwohl für ihn, den Jäger, sich in der Umgebung nichts verändert. Der junge Mann macht sich wohl Notizen über die Ruhe, oder ist doch nicht alles so ruhig ?, könnte sich der Jäger gefragt haben. 

Urban versuchte, sich über sein Äußeres in dem Gesicht einer Frau, die in einem ihm entgegenkommenden Auto saß, ein Bild über sich selbst zu machen. Die Frau hatte ihn gegrüßt, also hatte sie ihn erkannt, so hatte er sich in seinem Äußerem und seinem verhalten während des Spazierganges nicht verändert. Er war äußerlich derselbe geblieben. Ergebnislos verliefen seine Versuche vor dem Spiegel, durch Grimassen, aufblähen der Backen, verziehen des Mundes oder rollen mit den Augen jemand anderer zu werden. Er blieb er selbst, soviel Mühe er sich auch gab. Er hatte schon kurz andauernde Veränderungen seiner Person erreicht, aber er fiel immer wieder in sich selbst zurück. 

Zugleich wenn er sein Zimmer in Ordnung brachte, brachte er auch seine Person in Ordnung. Er erkennt einen Zusammenhang zwischen der Ordnung in seinem Zimmer, die des öfteren in Unordnung ausartet, von ihm aber mit allen Kräften wiederhergestellt wird und seinem in Unordnung geratenen persönlichen Gleichgewicht. Das Eine stützt das Andere und bewahrt ihn vor Haltlosigkeit.

HONIG:mund

Nähert sich ein runder Geburtstag, dann zerbricht man sich den Kopf darüber, was man demjenigen oder derjenigen schenken soll. Schwierig wird es, wenn es sich um einen Geburtstag jenseits von sechzig Jahren handelt. Bis Sechzig ist dies meistens kein Problem, da wird noch vieles gebraucht. Niemand macht sich darüber Gedanken, dass es möglich sein könnte, dass derjenige das Geschenk nicht mehr benützen könnte. Für die Vierziger neigt man heute oft dazu eine Reise oder ein Wellnesswochenende zu verschenken. Was man nicht schenken kann ist die Zeit für das Wellnesswochenende. Viele Jahre haben sich Geschenkkörbe mit ausgewählten Lebensmitteln und Getränken großer Beliebtheit erfreut. Inzwischen verzichten viele darauf, weil die Beschenkten in der Auswahl der Lebensmittel wählerisch geworden sind. Ein  Zukunftstrend ist der Geschenkkorb mit biologischen Nahrungsmitteln. Weil man keine Idee hat und auch die Frau keine Wünsche  geäußert hat, will man einer Fünfundachtzigjährigen zum Geburtstag zehn Kilo Honig schenken. Dieses Jahr ist ein sehr ertragreiches Honigjahr und es gibt in der Familie einen Imker. Eine Möglichkeit ist, bei runden Geburtstagen auf persönliche Geschenke zu verzichten und um eine Spende für eine caritative oder humane Vereinigung zu bitten.

Überrascht zeigt man sich, wenn man eine Einladung zum siebzigsten Geburtstag bekommt, um dann erstaunt auszurufen:  „So alt ist sie oder er schon“. Dabei ist man selbst nur mehr einige Jahre davon entfernt. In der Kindheit war ein Siebzigjähriger ein alter Mann, den man im Altersheim besucht hat. Jetzt soll man mit siebzig noch die Jugend gepachtet haben und stimmen die Aussagen der Politiker und der Soziologen, wird kein Jahrzehnt vergehen und wir müssen bis siebzig Jahre arbeiten.

Honig um den Mund streichen.