navi:gerät III

Der Mensch wird in vielen Bereichen technisch optimiert und damit verkümmern auf der anderen Seite seine natürlichen Fähigkeiten. Er wird der Möglichkeit beraubt seine Sinne zu schärfen. Was wird für die Zukunft der bessere Weg sein, vieles ist noch offen? Einen Vorteil haben diejenigen, welche die lauteren Medien und die besseren Vermarkter hinter sich haben.

Auf dieselbe Schiene gerät man, wenn man mit Kids einen Ausflug auf die Alm macht, dabei erlebt man ähnliches. Für sie ist es total öde und uncool während der Fahrt einen Blick auf die herabstürzenden Wildbäche, Almwiesen und weidende Kühe zu machen. Ist überhaupt Interesse für die Landschaft vorhanden, dann hält man das Handy beim Autofenster raus und filmt die vorbeifliegende Bergwelt. Das Video wird dann im Auto angeschaut.  Das dritte Auge des Menschen ist heute die Fotolinse des Handys.

Dies ist eine Generation wo noch eine geringe Naturerlebnissbereitschaft vorhanden ist. Wer wirklich aktuell ist blickt lieber auf die virtuelle Natur auf dem Bildschirm.  Vom Sinn einer Wanderung sind sie zumeist nicht zu überzeugen, viel lieber bleiben sie im Auto oder am Parkplatz sitzen. Dort können sie sich weiterhin ungestört mit dem Alleinunterhalter und Allzeitbuttler, dem  Handy zuwenden.Wahrscheinlich bekommen wir in den Medien die immer motivierten  Jungs und Mädels zu sehen. Diese betreiben Sport, interessieren sich für die Erhaltung der Natur, sammeln für soziale Zwecke. Braucht es heute als Elternteil oder als Großelternteil eine Ausbildung als Motivationstrainer um noch ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen?

Nicht aufgeben.

navi:gerät II

In Gruppen von vier bis fünf Personen wurden wir, versehen mit Proviant für einen Tag losgeschickt. Um unseren Ehrgeiz anzustacheln gab es für die Gruppe, welche als Erste die Zielstation erreichte, als besonderes Zuckerl, einen Tag Dienstfrei. So motiviert stürzten wir uns in Viertelstunden Intervallen vom Start auf unsere Aufgabe. Um keine Zeit zu verlieren verzichtete unsere Gruppe auf eine Mittagsrast. Wir öffneten während des Marschierens unsere Fleischschmalzdose und aßen die Schmalzbrote beim Gehen. Im Ziel mussten wir festzustellen, andere Gruppen waren schneller. Die Meisten machten sich beim nächsten Orientierungslauf einen bequemen Tag, in frischer und schöner Umgebung.  Sie ließen sich nicht zweimal bitten, wenn sie von Bauersleuten zu einem Glas Most und einer Jause eingeladen wurden. Auch eine Mitfahrgelegenheit auf einem Traktor ließen wir uns nicht entgehen.

Heute bedient man sich der Navigationsgeräte, die sich im Auto, genauso wie im Wanderrucksack befinden. Es gibt kaum jemanden der sich alleine, damit meine ich nicht als Person, sondern alleine im Sinne ohne Handy auf eine Autofahrt oder auf eine Wanderung begibt. Habe ich vorhin geschrieben dies betrifft vor allem die Generationen bis dreißig plus, so habe ich es vor kurzem anders erlebt. Bei der Kölnbreinsperre kehrte eine Wandergruppe von Pensionisten aus dem Raum Bleiburg beim Almgasthof ein. Hinter ihnen lag eine Wanderung  zur Osnabrückerhütte. Kaum hatten sie sich in der Gaststube niedergelassen wurden von allen Teilnehmern die Handys aus dem Anorak oder dem Rucksack gezogen. Die Nachrichten gecheckt und telefoniert. Erst dann wurde bei der Hüttenwirtin die Bestellung aufgegeben. Frei nach Brecht,  das Telefonieren kommt vor dem Saufen.

Und die Moral.

navi:gerät I

Ich bin nicht der Einzige welcher sich darüber Gedanken macht, wie die Gesellschaft sich in der Navigation entwickeln wird. Es gibt zwei sich widersprechende Erscheinungen. Die eine Strömung  setzt darauf, dass jeder mit jedem vernetzt  und überall erreichbar ist. Die Generation bis Dreißig plus vertraut voll dem Handy und dem Internet. Bei diesen Jahrgängen kommt es niemanden in den Sinn, sich bei der Fahrt durch Österreich oder in das benachbarte Ausland einer Straßenkarte oder der Straßenschilder zu bedienen. In der Stadt braucht man nicht die Unterstützung eines Stadtplanes, viel lieber lässt man sich von einem sprechenden Handy leiten. Gehen dadurch nicht viele natürliche Instinkte und Fähigkeiten verloren? Der Orientierungssinn, die Fähigkeit sich bestimmte markante Merkmale einer Stadt einzuprägen.

Mit einem gewissen Stolz habe ich festgestellt, waren wir in einer fremden Stadt unterwegs, dass ich mir bestimmte Gebäude und Lokalitäten gut merken kann. So konnten wir immer wieder problemlos in die Unterkunft zurückfinden. Ebenso bei einem Ausflug  mich an besondere landschaftliche Gegebenheiten zu erinnern, um so eine Rückfahrt ohne Umwege zu ermöglichen. Bei Bergwanderungen mit Hilfe einer Wanderkarte zielstrebig den richtigen Weg einzuschlagen, die Kunst des Kartenlesens zu beherrschen. Diese Kenntnisse habe ich mir während der Bundesheerzeit in der Belgierkaserne in Graz  angeeignet. Eine der spannenden Aktivitäten im Ausbildungsprogramm war der Orientierungslauf.  Dabei wurden wir mit einem Militärtransporter  in die umliegenden Wälder von Graz gebracht und dort mit einer Wanderkarte ausgesetzt.  Auf dieser waren fünf Kontrollpunkte  eingezeichnet, die wir passieren mussten.

Instinktlos.

urban:VIII

Er hatte auch heute nach dem Wachwerden auf die Straße gehorcht, um zu hören, welcher Tag ist, ein Wochentag, ein Samstag oder ein Sonntag? Urban braucht dazu keinen Kalender, er horcht auf die Geräusche der vorbeifahrenden Autos. An Wochentagen ist in der Früh  starker Berufsverkehr, an Samstagen sind es bedeutend weniger, an Sonntagen ist es in der Früh auf der am Haus vorbeiführenden Straße fast autoleer. Urban orientiert sich an seinem Autoverkehrskalender, womit sich gut Wochentage, Samstage und Sonntage unterscheiden lassen. In seinen Rückblicken stößt Urban auf eine Begebenheit, die verursacht hatte, dass beim zweiten Spaziergang die Erfahrungen des ersten Spazierganges ihn zu einer Folgereaktion veranlassten. Beim ersten Spaziergang hatte er sich vor einem Stück Schlauch,  welches am Schotterweg lag, gefürchtet. Er hatte später gesehen, dass dies ein Schlauch war und keine Schlange, aber einer Schlange sehr ähnlich war. Seine Furcht war Schlangenbezogen. Beim zweiten Spaziergang war Urban auf den Schlauch, vor dem er noch immer eine schlangenbezogene Angst verspürt hatte getreten, um darüber hinwegzukommen. Es war in ihm eine vom Gefühl her berechtigte Angst, die aber gegen sein Wissen stand.

Er vermutet jetzt, dass er nach Überwindung der Gefühlsangst den Wind gespürt hat, der während der  Zeit des Gehens vorhanden gewesen sein wird, weil in der Schütt immer der Wind weht. Dies war einer der Gründe, weshalb er hier spazieren ging. Anstatt der Zuneigung für den Wind, begann er den Wind abzulehnen. Zuerst die Vorliebe und jetzt der Hass. Ihm war  zu viel, dass der Wind andauernd wehte, er wünschte sich ihn nur zeitweise.  Er sieht in der Zuneigung die Abhängigkeit, Hass ist Zuneigung.

urban:VI

Vor Urban liegt auf dem Tisch das Formular einer Behörde. Urban hat das Formular mit seinem Namen versehen. Der Name umfasst seine Person. Für die Behörde ist Urban ein Name, der sich in Buchstaben ausdrücken lässt. Urban fühlt sich als eine aneinandergereihte Anzahl verschiedener Buchstaben. Er könnte den Idealzustand seiner Gefühle in der Aneinanderreihung von Buchstaben sehen. Urban ist bemüht, bei Niederschrift seiner Wahrnehmungen vom Spaziergang die Wahrnehmungen des ersten Spazierganges vom ersten Mai und die Wahrnehmungen des Spazierganges vom darauffolgenden Tag zu trennen. Der Spaziergang des darauffolgenden Tages führte denselben Weg entlang. Nachdem er die tiefere Schicht seiner Erinnerungen freigelegt hat, wendet er sich den darüber geschichteten Erinnerungen zu. Ähnlich wie bei Bildern nur alle Farbschichten gemeinsam ein Bild ergeben, sind es in seinem Fall beide Erinnerungen, zusammengefasst zu einer Erinnerung. 

Das Gefühl, an welches sich Urban erinnerte, als er am nächsten Tag wieder den Staudamm entlang ging, war angenehm. In dieses angenehme Gefühl fiel ein Schuss von der gegenüberliegenden Bergseite. Er konnte räumlich nicht an den Auslöser des Schusses herankommen. Urban ließ seine Vorstellung von einem Jäger in sich breit werden. In einer auf Holzpfosten errichteten Bretterhütte dämmerte ein unausgeschlafener Jäger dem Mittag entgegen. Er hatte die Büchse auf seinen Füßen liegen. Unaufmerksam beobachtete er das Bild des Waldes, wie es ihm seine Augen vermittelten. So gesehen war aus der Sicht eines Jägers nichts bemerkenswertes zu beobachten. Seine Anwesenheit wurde durch nichts gerechtfertigt. Ungewollt löste sich ein Schuss aus seinem Gewehr. Der Jäger verspürte in sich Genugtuung, da durch den Schuss seine Anwesenheit gerechtfertigt wurde. 

Eine weitere Wirklichkeit kam aus Urbans Gehör, ein Surren und Metallklirren. Diese beiden Geräusche wurden von Urban einem Radfahrer zugeordnet. Das Geräusch, welches von rückwärts in sein Gehör und weiter in sein Bewusstsein drang, erlaubte es ihm noch nicht, den Radfahrer als Mann, Frau oder Kind zu bezeichnen. Diese Wahrnehmung von Einzelgeräuschen war vorherrschend. Urban vernimmt in der Erinnerung nicht die Summe von Vogelgesang, sondern die Stimme eines Vogels. Nach dem Metallklirren der Radfahrerin, die in der Senke verschwunden war, wurde Urban zum Beobachter eines Vorganges, der einen Teil seiner Person betraf, aber jetzt mit ihm nichts mehr zu tun hat. Verzückt folgte Urban entlang des Staudammes einem metallischem Klicken und sah sich plötzlich vor dem Kraftwerk stehen. Das Wasser wurde vom Kraftwerk hineingezogen und dabei ertönte in kurzen Abständen das Klicken. Jetzt glaubt Urban, dass das metallische Klicken davon herrührt, dass kleine Steine oder Gegenstände, welche das Wasser mitführte , irgendwo an Metall schlugen. Urban konnte beobachten, wie dieses Geräusch auf ihn eine mit seinen Erfahrungswerten nicht mehr auszudrückende Anziehungskraft ausübte. Als von der Flussseite Kinderstimmen hörbar wurden, war es ihm unmöglich, sich selbst weiter zu beobachten. Durch die Kinderstimmen erlangte er den Zugang zur Realität, die er zu überschreiten versucht hatte, und das metallische Klicken verlor seine Anziehungskraft. Urban ging den Staudamm entlang. 

Beim Betätigen des Gaspedals verspürte er den ganzen Motor, in empfindsamen Momenten das fahrende Auto als Ganzes, so wie ein Schmerz, hervorgerufen durch einen zu eng geschnürten Schuh, ihn zur Wahrnehmung seines Fußes führt. Sein Fuß ist nur im Schmerz spürbar.  

Das Geräusch kam den Staudamm entlang und brauste über ihn hinweg. Aus seiner Erinnerung erkannte Urban das Geräusch als Bahngeräusch. Urban hatte bei Beginn des Spazierganges daran gedacht, nach dem Spaziergang das Mittagessen einzunehmen. Sonntags gab es im Gasthaus, wo er seine Mahlzeit einnahm Wienerschnitzel. Der Sonntag wurde für Urban zu einem guten oder schlechten Sonntag, je nach der Größe des Wienerschnitzels. War es ein großes Wienerschnitzel, so war es ein schöner Sonntag, war das Wienerschnitzel weniger groß, so war es trotzdem noch ein Sonntag und kein gewöhnlicher Wochentag. An einem Wochentag musste Urban arbeiten, es gab aber trotzdem kein Wienerschnitzel. Waren früher der Kirchgang, nach dem Kirchgang der Gasthausbesuch, nach dem Gasthausbesuch das gute Mittagessen und nach dem guten Mittagessen der arbeitsfreie Nachmittag die Merkmale die einen Sonntag als Sonntag kennzeichneten, so war bei Vielen von all diesen Merkmalen nur mehr das gute Mittagessen geblieben. Für Urban zusätzlich entscheidend die Größe  des Wienerschnitzel. So bedeutete ein großes Wienerschnitzel einen zufriedenen Sonntag. Ein großes Wienerschnitzel war die Garantie für einen guten Sonntag.