Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

WUNSCH:los

Die  Einkaufszentren laden zu einem Rabatteinkaufswochenende ein, alles minus 10 bis 20 Prozent. Dort  wird man schon lange nicht mehr gefragt: „Haben sie noch einen Wunsch.“ Früher war dies beim Greisler eine Standardfrage, wenn alle gewünschten Artikel auf dem Verkaufspult standen. Die Positionen wurden durchgezählt und mit den Posten am Kellnerblock vom Villacher Bier verglichen. Danach händisch zusammengezählt, zweimal zur Kontrolle. Dies ging alles sehr schnell, nicht ganz so schnell wie heute beim Scannen im Supermarkt. Von der Supermarktkassiererin wird verlangt, eine gewisse Anzahl von Positionen, in einer gewissen Zeit einzuscannen. Erreicht sie das vorgeschriebene Limit nicht, ist sie ihren Job los. Da bleibt keine Zeit zu fragen: „Haben sie noch einen Wunsch“. Bei einer Begegnung auf der Straße wird nach der Begrüßung oft gefragt, wie geht es heute und es heißt dann, ich bin wunschlos.

Wunschlos glücklich sein kann man auch, wenn man infolge eines grippalen Effekts im Bett liegt, keine ernsten Beschwerden hat, und sich die Zeit gönnt auszuspannen. Nichts muss funktionieren, niemand verlangt etwas, alles geschieht freiwillig. Die Augen, die Gedanken, den Körper baumeln lassen.

Vitamin C Brause. 

PAPIER:müll

Von traditionsreichen Firmen, die über Jahrhunderte Bestand haben, kennen wir in Museen die handschriftlich geführten Journale und Geschäftsbücher, wo genaue Aufzeichnungen geführt wurden: Was wem, wann, verkauft wurde und wie bezahlt wurde, ebenso was von wem, wann, eingekauft wurde. Strenger gehandhabt wurden diese Aufzeichnungen bei den  Geldverleiher. In der Schifffahrt wurde in den Bordbüchern jede Fracht und alle Vorkommnisse vermerkt. Irgendwann muss jemand dafür Verständnis aufgebracht haben, dass Geschäftsunterlagen, die Finanzbuchhaltung nicht für immer aufgehoben werden muss. Hätte es damals schon die sieben Jahresfrist gegeben, wären diese Aufzeichnungen nicht mehr vorhanden.  

Dieses Jahr können die Buchhaltungsunterlagen aus dem Jahre 2002 in die Papiermülltonne gegeben werden. Dabei sieht man, dass manche Firma nicht mehr existiert oder das man keinen geschäftlichen Kontakt mehr hat. Solche Veränderungen passieren schon in sieben Jahren, wie vieles wird sich in siebzig Jahren ändern? Hinter diesen Papieren versteckt sich viel Arbeit: Bestellungen, Lieferungen, Auspacken und Einräumen. Viele Verkaufsgespräche mit den Kunden. Jetzt kommt alles in den Müll, auch die Erinnerungen.

Insiderwissen.  

FABRIKS:verkauf

In wirtschaftlich turbulenten Zeiten verbindet man mit dem Wort Fabriksverkauf die Vorstellung, dass eine Fabrik von der Konkurrenz übernommen wird. Es kann aber auch sein, dass Waren direkt ab Fabrik an die Konsumenten verkauft werden. Bei Jahrmärkten und Stadtfesten  wird mit einer Plane „Fabriksverkauf“ auf eine günstige Einkaufsmöglichkeit aufmerksam gemacht.Viele Menschen sehen darin eine Möglichkeit den  Erwerb einer leicht beschädigten Ware zu einem reduziertem Preis. Nicht selten gibt es Fabriksverkäufe, obwohl am Standort nicht mehr produziert wird. Während meiner Zeit als Schuhfacharbeiter bei der Firma Gabor in Spittal/Dr. war am Standort ein Verkaufsladen. Dort wurden Schuhe mit leichten Lack- oder Lederfehlern preiswert angeboten.Vor einem Jahr wurde die allgemeine Produktion eingestellt, die Fabrikshallen stehen leer. Es werden noch die Prototypen der jeweils neuen Kollektion produziert, bis Jahresende. Den Fabriksverkauf gibt es noch.

Bei einer anderen Firma habe ich die Fabrikshalle betreten und erwartet, dass ich Arbeiter und laufende Maschinen vorfinden werde. Die Produktionshalle war menschenleer, am Rand standen ein paar verstaubte Maschinen. In einer  Ecke  habe ich eine Arbeiterin angetroffen. Neben ihr standen mehrere Paletten mit Schultaschen, hergestellt in Taiwan.Von ihr wurde das Firmenschild vorne in die Taschen geschoben. Den Fabriksverkauf gibt es noch. Der Ort San Daniele  in Friaul ist für seinen zarten Schinken, Prosciutto, bekannt. Der luftgereifte Schinken hat seinen Preis. Die Nachfrage nach dem Schinken ist so groß, dass es unmöglich ist, in Friaul so viele Schweine zu mästen, wie für die Produktion notwendig wäre. So werden aus Holland und Polen Schweine importiert und in San Daniele zum Schinken verarbeitet, besser gesagt, herangereift.

Original und  Kopie.

ZUG:reise

Lese ich während einer Bahnfahrt in der Zeitung von schrecklichen Schicksalen, dann  lasse ich von der Zeitung ab. Ich unterhalte  mich mit den Reisenden, dabei kommt man zum Thema Verreisen und  Fliegen. Da komme ich mit meiner Bodenständigkeit und meiner Vorliebe für das Zugfahren nur am Rande vor. Ich schaue auf die kleinen Dinge, die sich im Zugabteil abspielen. Gerade gibt es im Bahnhof Chiemsee vom Zugbegleiter eine Durchsage, dass die Reisenden nach München den Regionalzug benützen sollen, da der EC-Zug restlos überfüllt ist. Am Eingang zum Zugabteil sitzen manche am Boden, überall stapelt sich das Reisegepäck und ein Kinderwagen muss auch noch Platz haben. Wie sich die Reisenden im übervollen Zug verhalten ist ganz unterschiedlich. Die einen schlafen, verschlafen sozusagen die Überfüllung, ihnen bringt man am meisten Respekt und Zurückhaltung entgegen. Andere packen den Laptop aus und brechen zu einer virtuellen Reise auf oder haben die Kopfhörer vom IPod im Ohr. Manche drängen sich durch die stehenden Leute, auf der Suche nach dem Rest der Familie. Kinder spielen am Boden ein Würfelspiel und die Würfel rollen immer wieder unter die Sitze. Ein dunkelhäutiges Mädchen „läuft“ mit dem Zug mit, sie läuft im Abteil am Stand und ist der Meinung, dass wenn sie zum Laufen aufhört, der Zug zum Stillstand kommt. Am Kopf fängt sie an zu schwitzen, dann gibt sie auf und verlangt ihre Haribogummis. Der grau melierte Herr im hellen Anzug vertieft sich in ein Piper Taschenbuch. Die ständig vorbeidrängenden Passanten zwingen ihn zum Aufgeben und er legt das TB zur Seite, verschränkt seine Arme und schaut dem Treiben zu. Ein Mädel und ein Bub haben auf dem Schoß eine Obststeige, die sie zu einem Transportbehälter für zwei Zwerghasen umfunktioniert haben. Die vielen verschiedenen Handyklingeltöne ergeben ein eigenwilliges Konzert. Inmitten dieser Unrast sitzen zwei Ehepaare und haben ein Sechsertragerl Löwenbräu auf der Ablage stehen, lesen und kommentieren gemeinsam die Bild Zeitung. Andere schauen argwöhnisch, wenn sich neben sie jemand hinsetzt.

Nerven sparen, Bahn fahren.

KUNST:kosmos

In diesem Jahr gedenken wir des fünfzigsten Todestages von Albert Camus, er ist im siebenundvierzigsten Lebensjahr bei einem Autounfall gestorben. In einer Tagebucheintragung schrieb er: „In fünfundzwanzig Jahren bin ich siebenundfünfzig Jahre alt und trotzdem vergeude ich meine Zeit mit Nichtigkeiten“. Zu diesem Zeitpunkt wusste er nicht, dass sein Leben um zehn Jahre kürzer sein wird. Mit „Nichtigkeiten“  meinte er wahrscheinlich die Alltäglichkeiten des Lebens, die ihm viel von der Zeit zum Schreiben geraubt haben. Diese Feststellung werden andere schöpferische oder wissenschaftlich tätige Menschen auch machen. Sie wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie entledigt man sich der Alltäglichkeiten, wie viel Kontakt braucht es zu den Familienmitgliedern und anderen Menschen. Geht die Fantasie verloren, wenn man sich von den Mitmenschen völlig isoliert, sind Künstler überhaupt beziehungsfähig? Besteht das Glück darin, sich in einem Kosmos von verständnisvollen Menschen zu bewegen.

Schreibzimmer.