aus:radiert

Es ist mir schwer gefallen anderen gegenüber kundzutun, dass ich in Pension gehen will  und meine Papierhandlung verpachten möchte. Zuerst hatte ich die Absicht mein Vorhaben in kleinen Dosen bekannt zu geben, aber da besteht die Gefahr, dass viel Falsches verbreitet wird. Der bessere Schritt war, dass ich offen darüber geredet habe, es eine öffentliche Angelegenheit war. Je öfter ich darüber gesprochen habe, umso leichter konnte ich mir den Abschied von der Selbstständigkeit vorstellen. Bin ich durch den Ort gegangen, dann habe ich mich bei jedem Gesicht gefragt, weiß er oder sie, es schon? Erzählte ich jemanden, dass ich in  Pension gehen werde, dann wurde ich sofort älter eingeschätzt, als dies vor einem halben Jahr der Fall war. Plötzlich erhielt ich das Prädikat „alt“, eine Person mit Ablaufdatum. In Rente zu gehen erzeugte in mir ein Gefühl, als würde ich aus dem Leben ausscheiden.  In einer wirtschaftlich unsicheren Zeit  beneiden einen manche um das sichere Einkommen. Die Sicherheit ist mit dem Alter verbunden und dem gegenüber steht die Jugend, welche das längere Leben auf ihrer Waagschale hat. Nicht alles kann man eins zu eins aufrechnen.

Es gab Trostworte und ich wurde darauf hingewiesen, dass ich den Ruhestand wohlverdient habe. Andere, die vorhatten in die  Altersversorgung zu wechseln erzählten eilig, was sie noch alles erledigen möchten. Die Vorhaben waren ganz unterschiedlich: Die Durchführung einer Wohnungsrenovierung, Reitunterricht oder der Besuch eines russischen Sprachkurses. Sie redeten über ihre  zukünftigen Reisepläne und einem Kuraufenthalt. Beim Aufzählen der Aktivitäten wurde nichts ausgelassen. Kopfschütteln erntete ich,  wenn ich darauf hingewiesen habe,  dass ich mit dem Erreichten und Erlebten zufrieden bin  und  alles freudig annehmen werde,  was mir als Ruheständler noch zufällt.

Ist man Selbstständig und es gibt einen Nachfolger, dann ist man in der Übergangszeit ein Verwalter, ein Wegbereiter für den Nachfolger, der viel größer sein wird, als man selbst war. Eine Notlösung für eine kurze Zeit, von der die Kunden hoffen, dass sie bald vorbei sein wird. Bei den Vorbereitungen für die nächste Saison konnte ich noch mitreden, ohne eine Entscheidung treffen zu können. Meine vierzig Jahre Selbstständigkeit wurden danach beurteilt, wie ich mich in den letzten Monaten präsentiert habe. Die letzten Tage im Geschäft werden als Vorlage genommen, um ein Urteil über mich zu sprechen, die Höhepunkte waren schon vergangen. Auch bei den Lieferanten, wo ich über Jahrzehnte Kundschaft war, verlor ich schnell an Bedeutung und wurde als Mensch uninteressant. Ich  war nur noch solange wichtig, bis ich den Namen und die Telefonnummer des Nachfolgers bekannt gegeben habe. Außer dem Abschied von den Mitarbeitern, Kunden und Sachwerten nimmt ein Kaufmann Abschied vom ideellen  Betriebswert. Ich war für die Leute vom Ort eine Einheit, Person und Geschäft waren ein Begriff.

Scheidet man aus dem Arbeitsprozess aus, so wird jeder die Wochen davor anders erleben. Man beginnt am Arbeitsplatz  die betrieblichen von den persönlichen Utensilien zu trennen. Viele Jahre konnten sie am Schreibtisch und im Büroschrank nebeneinander existieren. Bei einem Unternehmer ist dies kaum zu unterscheiden, weil Betrieb und privat sind eine Einheit. Es ist, als wenn man Siamesische Zwillinge trennen muss. Aus medizinischen Berichten wissen wir, dass dies, je nach Art der Verwachsungen, ein schwieriger Eingriff ist. Meistens ist nur Einer von zwei lebensfähig. So ähnlich kann man sich die Trennung zwischen Betrieb und Privat vorstellen. Um einen Teil lebensfähig zu erhalten, muss der andere absterben.

pension:tag III

Der Mann holt die Frau am Vormittag mit dem Auto vom Arzt ab und begleitet sie zum Lebensmitteleinkauf in den Supermarkt. Der Besuch des Thermalbades wird schon am Vortag  geplant. In den vergangenen Tagen war es so heiß, dass man die Balkonpflanzen gießen musste, dabei wurde das Unkraut entfernt, verblühte Rosen geköpft und diese Tätigkeiten werden heute  im Liegestuhl Revue passiert. Offen ist die Entscheidung ob man das Nachmittagskaffee auf dem Balkon oder im Esszimmer trinken wird. Dabei entwickelt sich ein Gespräch darüber, dass heutzutage auch Haustiere vor Entführung nicht sicher sind. Vor ein paar Tagen wurde in der Nähe eine Main Coon Rassekatze entführt. Es wurde beobachtet, wie ein Auto auf dem Parkplatz vorfuhr und die Katze von der Wiese in das Auto gebracht wurde. Vor ein paar Wochen sind eine andere Katze und ein Dalmatinerhund, in dieser Straße plötzlich verschwunden. Dachte man damals daran, dass der Hund und die Katze entlaufen wären, sieht man diese nach dieser Beobachtung anders. Durch das Schreiben von Adressen für einen caritativen Verein hat man einen sozialen Beitrag zur Gesellschaft geleistet. Beim Abendessen blickt man auf einen geglückten Tag zurück.

Abschalten.

pension:tag II

Es gibt Menschen, die länger arbeiten als es für den Erhalt der Pension notwendig ist. Sind sie die neuen Vorbilder für die Zukunft oder können sie sich im fortgeschrittenen Alter keine Ruhe gönnen? In manchen Fällen ist es die Angst vor der Einsamkeit, weil man keinen Partner hat oder er/ sie vor Jahren verloren hat. So bleibt man, solange als möglich im angestammten Beruf, bis einem die Firma in Pension schickt. Eine bessere Position für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit haben die Selbständigen. Sie können zwischen ihrem frühesten und spätesten Pensionsantritt wählen. Ist man körperlich und geistig in der Lage, kann man im Betrieb oder im Geschäft bleiben, man bleibt in der Öffentlichkeit. Es ergeben sich außerfamiliäre Kontakte bei den Gesprächen mit der Kundschaft. Man hat einen strukturierten Tagesablauf, eine Aufgabe, die man nicht erst suchen muss. So kann man die Zeit, wo man in die Anonymität einer Privatwohnung zurück muss, hinausschieben. Diesen Vorteil gibt es auch in der Landwirtschaft, wo die Altbäuerin und der Altbauer bis zu Letzt, solange es die Kräfte erlauben, am Hof nützlich machen. So entkommt man der Nutzlosigkeit, dass man sich nur noch als überflüssiger Esser sieht, den viele schon in das Grab wünschen.

Alt und jung.

jugo:land

Die Unterschiede zwischen Einwanderern und Einheimischen zeigen sich heute nirgends so deutlich wie bei den Kopftuchträgerinnen. Das Tragen des Kopftuches in der Öffentlichkeit erregt die meisten Menschen. Vor Jahrzehnten konnte man an Sonntagen in der Bahnhofshalle der Draustadt eine Handvoll Männer in abgewetzten Anzügen sehen. Mit einer Flasche Bier in der Hand unterhielten sie sich gegenseitig. Von den Kärntnern wurden sie in der Umgangssprache als „Jugos“ bezeichnet. An den Wochentagen waren sie in der Öffentlichkeit nicht präsent. Sie waren auf den Baustellen, beim Hoch- und Tiefbau oder beim Straßenbau. Ist es unter ihnen zu einem Raufhandel gekommen, so wurde in den Lokalnachrichten „Gastarbeiter“ wie eine Berufsbezeichnung zum Namen hinzugefügt.

Zu einem verstärkten Zuzug von Gastarbeiterinnen im Raum Spittal/Dr. ist es in den Siebzigerjahren gekommen, als die Schuhfabrik Gabor weiter ausgebaut wurde. Obwohl aus den umliegenden Tälern die Arbeitskräfte mit Firmenbussen in die Fabrik gebracht wurden, fehlte es an Arbeiterinnen. Deshalb wurden im benachbarten Jugoslawien Frauen angeworben. Sie wurden in den umliegenden Gemeinden in kleinen Wohnanlagen und in sogenannten Burschen- und Ledigenheimen untergebracht. Für uns Halbwüchsige, wie wir damals als Zwanzigjährige bezeichnet wurden, waren dies Frauen und Mädchen mit einer besonderen Ausstrahlung. Anders als wir es von den heimischen Mädchen kannte. Die Eltern warnten uns vor den „Jugoweibern“, was sie für uns erst recht interessant machte. In den Wirtshäusern waren die „Jugoweiber“ gern gesehene Gäste und brauchten sich um das Bezahlen der Zeche keine Sorgen zu machen.

Jugoland abgebrannt.

wien:splitter V

Ist man für einen Messebesuch ein paar Tage in Wien, dann kann man abseits der Ausstellung viele Beobachtungen machen. Vorteilhaft ist es, wenn man den beruflichen Aufenthalt verlängern kann, um ziellos durch die Stadt zu flanieren. Richtet man dabei seinen Blick nicht auf die Bauwerke und geht dabei mit nach oben gerichteten Augen durch die Kärntnerstraße und die Mariahilferstraße, sondern richtet man dabei den Blick auf die Menschen in der Fußgängerzone, so lässt sich manches kurioses beobachten.

Kommt man aus der Provinz nach Wien gewinnt man den Eindruck, dass es hier eine Fülle von Behörden, Museen, Theater, Forschungsstätten und anderen Institutionen gibt. Diese öffentlichen Einrichtungen, im Kultur- und Kunstbereich, im Forschungsbereich und auch im sozialen Bereich verschlingen einen großen Teil vom Budget des österreichischen Staates. Ohne diese Geldmittel gäbe es wohl um zwei Drittel weniger öffentliche Institutionen. Auf einer Seite Litfaßsäule klebt ein Plakat, welches zu den Jelinek – Dialogen einlädt, veranstaltet vom Jelinek Forschungszentrum. Elfriede Jelinek ist die österreichische Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2004.

Im Café Griensteidl steht in einer Ecke eine Telefonzelle mit Münzapparat und Telefonhörer, wie es sie früher auf öffentlichen Plätzen gegeben hat. Nach dem Einwerfen der Münzen tippte man die Rufnummer ein und die Telefonverbindung wurde hergestellt. In einem Sichtfeld wurde das vorhandene Guthaben angezeigt. Die älteren Münzapparate hatten eine Wählscheibe und beim Melden des gewünschten Teilnehmers musste man die „Verbindungstaste“ drücken. Jetzt steht vor der öffentlichen Telefonzelle ein Kleiderständer und sie ist nicht mehr zugänglich. Heute hat jeder sein Handy dabei, die Telefonzellen sind überflüssig. Ein Drittel der Cafebesucher unterhält sich nicht mit den Freunden am Cafetisch, sondern über das Handy mit Menschen die weit entfernt sind. Die Touristen schicken ihre Fotos vom Cafesalon um die halbe Welt.

In der Mitte des Cafés sitz ein junges Paar mit einem Kind und dieses isst aus einem Glas mit einem Löffel Nutella.

Nutella pur.