auf:schreiben II

Bei einem Genussaufenthalt in Istrien entdecke ich in der Kärntner Lokalzeitung eine Traueranzeige und meine Internatstage holen mich ein. Dort lese ich, dass sich die Familie S. bei den Ärzten und beim Pflegepersonal des Bezirkskrankenhauses für die gute Betreuung von Frau S. bedankt. Sie wurde in aller Stille im Familiengrab auf dem Waldfriedhof beigesetzt. Der Name des Ehemannes stimmt mit dem Namen meines ehemaligen Deutschprofessors überein. Er war für seine faire Art bei uns Schülern beliebt, obwohl er im Unterricht keine Abschweifungen duldete, sehr auf Disziplin bedacht war. Sein Bestreben war, uns ein breites Allgemeinwissen zu vermitteln. Er unterrichtete die Fächer Geschichte und Deutsch. In den 60er Jahren gab es außer einem Lesebuch kaum Behelfe für den Deutschunterrricht. Die Rechtschreib- und die Grammatikregeln, sowie die Literaturgeschichte wurden von ihm, zumeist im letzten Drittel der Unterrichtsstunde, diktiert. Das Heft mit der Literaturgeschichte habe ich viele Jahre aufbewahrt und zählte zu meinen Lehrbüchern für die Buchhandelslehre. Von den Hirnforschern wurde festgestellt, dass sich Lerninhalte am besten einprägen, wenn diese handschriftlich niedergeschrieben werden. Mit dieser Erkenntnis ist davon abzuraten, das Erlernen der Schreibschrift auszusetzen. Das Mitschreiben von mündlich diktierten Lerninhalten zugunsten von Lerninhalten aus dem Internet zu vernachlässigen. Mein Eindruck ist, dass die Aneignung von Basiswissen immer mehr in das Abseits gerät. Dafür gewinnt das “Fleckerlwissen”, das “Häppchenwissen” und das “Wikipediawissen” immer mehr an Bedeutung. Vom Deutschprofessor wurden meine Aufsätze gelobt und ich durfte die Aufsätze der Klasse vorlesen. Schon in den Jugendjahren war das Aufsatzschreiben, vor allen anderen Fächern, meine Stärke. In der Pension treibt es mich zum Schreiben.

Auf dem Lungomare zelebrieren die Meerstimmungstouristen ihre Yoga- und Atemübungen. Das Meditieren im Angesicht der an die Felswand schlagenden Wellen verzückt eine Anzahl von Frauen. In Abständen von fünfzig Meter sitzen sie am steinigen Ufer. Kein Istrianer würde sich so dem Meer zuwenden, für sie ist das Meer der Alltag. Als Alpenländer zelebrieren wir unseren Aufenthalt am Meer.

Während der Internatsjahre in Tanzenberg war es obligatorisch bei der Heiligen Messe zu ministrieren. An den acht Seitenaltären der Internatskirche wurden jeden Tag gleichzeitig die Messopfer gefeiert. Am Hauptaltar die Seminaristenmesse. Die Messfeier war ein Ziborium. Als Ministranten mussten wir dem Priester die Schleppe vom bodenlangen Messgewand, wie die Brautjungfrauen, hinterhertragen. Den Präfekten bei der Heiligen Wandlung in seinen Handreichungen unterstützen.

Dominus vobiscum.

auf:schreiben I

Beim Durchblättern der Lokalzeitung einen Blick auf die Todesanzeigen zu werfen gehört nicht zu meinen täglichen Gepflogenheiten. Manches Mal ist dies unvermeidbar oder es handelt sich hierbei um einen Streich meines Unbewussten. Erregt eine Todesanzeige meine Aufmerksamkeit, dann sehe ich genauer hin, in welchem Alter die betreffende Person verstorben ist. Zugleich stelle ich einen Bezug zu meinem Lebensalter her. So stelle ich fest, dass mein Jahrgang immer öfter in den Todesanzeigen vorkommt, mit jedem Jahr in ein mögliches Sterbealter vorrückt. Mich vor kurzen noch unvorstellbaren Jahreszahlen nähere. Um Vergleiche bemüht bin, was ich bis dann und dann, in den offenen Jahren noch verwirklichen könnte. Dabei nehme ich Maß an der Zeit, welche ich mit dem Verfassen meiner literarischen Beiträge verbringe. Beim Blick auf das Schreibtempo eine Kopfrechnung durchführe. Bei soundso viel Zeitaufwand für das Zurechtschleifen eines Textes, von der ersten Notiz bis zur Veröffentlichung im Blog und bei soundso vielen Tageheften wird rein Versicherungsmathematisch einiges von den Vormerkungen unbearbeitet bleiben.

Nach einem arbeitsintensiven Berufsleben gibt es einen Hang zum süßen Leben, soweit es die Pension erlaubt. Den Trend einen Teil vom Tag in sportliche und gesundheitliche Programme zu investieren. Kurztrips in das benachbarte Ausland, nicht um mich zu Erholen, sondern um neue Eindrücke zu sammeln. Dahinter steckt das Interesse an fremden Landschaften, Städte, Kulturen und Menschen. Gleichzeitig erfahre ich, dass Erholung, gutes Leben und Genuss dem literarischen Schreiben diametral gegenüberstehen. Diese Empfindungen schließen sich gegenseitig aus.

Schreibstube.

vor:au I u. II

vorau I

Ende August langt der Sommer noch einmal kräftig zu, schleudert die Mittagstemperaturen in unerwartete Höhen. Am Chorherrenweg des Stiftes Vorau, im Schatten der Obstbäume, sitze ich auf einer Bank und lese in Wilhelms Händler Roman, wenn wir sterben. In der Mittagshitze gart das Heu in der angrenzenden Wiese vor sich hin. Das Rattern eines Traktors kommt immer näher, kreisförmig beginnt er mit dem Zusammenrechen des Grummets. Eine vorgeneigte Frau, mit einem bunt gefärbtem Kopftuch und einer einfachen blauweisen Schürze bemüht sich mit einem Holzrechen Grummetrückstände aus den Vertiefungen der Wiese zu kratzen. Damit gleicht sie ein Manko des Heuwenders aus. In Rufweite fragt sie mich, „ob es in der Sonne nicht schöner wäre“? „Ja, der Wind kühlt“. Im Schatten lässt mich der frische Wind trotz Sonnenschein frieren. Dankend lehne ich ab und erkläre meine Sonnenabstinenz damit, dass ich am Kopfscheitel an Aktinischen Keratosen leide. So sitze ich bei Sonnenschein vorwiegend im Schatten oder benütze eine Kappe.

„Ob ich in Vorau oder in der Umgebung wohne, dann könnte ich ihr vielleicht sagen, wer zurzeit in der Totenhalle  aufgebahrt sei? Beim Vorbeifahren hat in der Leichenhalle das Licht gebrannt, ein Zeichen dafür, dass jemand verstorben ist. Die späte Hitze macht vielen älteren Leuten zu schaffen und manches Mal schafft es das Herz nicht mehr. Meistens ist es Herzversagen, wenn an solchen widernatürlichen Tagen geschundene Landarbeiter und Landarbeiterinnen morgens nicht mehr aufstehen. Von der Bäuerin tot im Bett aufgefunden werden. Beim Heimfahren soll der Bauer kurz bei der Totenhalle stehenbleiben, sie will dann schnell einen Blick auf den Toten werfen. Bei diesen hohen Temperaturen hat man es mit der Beerdigung immer sehr eilig. Auf keinen Fall möchte sie, wie es jetzt auch in Vorau Mode wird, verbrannt werden. Die Hinterbliebenen sollen einen stabilen Eichensarg kaufen und für ein ordentliches Begräbnis sorgen. Sie habe dies auf jeden Fall verdient, ihr Lebtag habe sie fleißig gearbeitet. Woher ich komme, aus Villach. Vor Jahren hat eine Frau aus dem Ort nach Villach geheiratet, leider sei ihr der Name entfallen. Vielleicht würde ich sie kennen“?

vorau II

„Zu Maria Himmelfahrt hat ein furchtbares Unwetter Vorau heimgesucht, der Hagel hat das Gras in den Boden gedrückt und es ist so für den Heuwender schwer greifbar. Die Hagelgeschosse waren nicht rund und glatt, nein, sie hatten Stacheln. Diese zeigten eine besonders zerstörerische Wirkung. Wie dieses Unwetter über Vorau hereingebrochen ist, habe sie im Herrgotteswinkel eine Kerze angezündet und zu beten angefangen. Als der Rosenkranz zu Ende war, war auch das Gewitter vorüber. Der Gottesmutter sei Dank. Sie müsse weitermachen, der Sohn vom Bauer kommt  um die Heuschwaden zu silieren“. Visavis  vom Stift stehen am Hang in einer Schneise drei Kreuze, beim genaueren Hinsehen entpuppen sie sich als E-Masten.

Am nächsten Morgen kaufe ich im Ortszentrum in der Papier- und Buchhandlung ein Bilderbuch. Auf einer Wand hinter dem Kassenpult sehe ich beim Bezahlen vier Partezettel, sie sind in Augenhöhe angebracht. Es ist unmöglich diese zu übersehen. Die Verstorbenen sind in den Bezahlvorgang eingebunden. Noch einmal rufen sich die Ida, die Ingeborg, der Alois und der Ferdinand  bei allen Kunden in das Gedächtnis zurück. Eine weibliche Hauptfigur und die Finanzen im Roman, wenn wir sterben, in welchem ich gerade lese, leiden an Aktinischen Keratosen. Milla wünscht sich aus ihrer Haut zu fahren. Zitat: „Als du aus deiner Haut gefahren bist, hast du dir keine großen Gedanken darüber gemacht, ob du einfach in eine andere Haut geschlüpft bist oder ob es vielleicht sogar ganz ohne Haut geht.“

050

nitzky:dorf II

Die Leiterin von der Kindertagesstätte Nitzkydorf ist eine ausgebildete Lehrerin, die sehr gut formuliert und wie sie selbst sagt, sich vorgenommen hat während des Vortrages nicht zu weinen. Sie selbst  hat großes Gottvertrauen, Gott zeigt ihr immer einen Weg, sie hat Gott darum gebeten, dass er sie nicht verlässt. Ihren Sohn hat sie gelernt kein Egoist zu sein, sondern mit den anderen zu teilen, wie sein Jausenbrot. In Notsituationen ruft sie die Schwester Gertraud in Kärnten an, Schwester Gertraud sagt, Gott wacht über alles. Ist ihre Frömmigkeit echt, kenne ich keinen anderen so gottesfürchtigen Menschen. Die Schwiegertochter übersetzt ihre Worte vom Rumänischen ins Deutsche, der Sohn bedient  gekonnt eine bewegende Powerpoint-Präsentation. Sie haben von den Kindern gelernt, etwa fünfzig Kinder, sogenannte Straßenkinder,  werden in der Tagesstätte betreut. Denen fehlt es am notwendigsten, zu wenig Nahrung, Kleider und kein Zuhause. Viele haben immer Hunger und Angst.

In dieser Heimstätte wird den Kindern ihre Kindheit zurückgegeben. Es werden auch Bewohner unterstützt die nichts zu Essen oder zu Heizen haben. Nitzkydorf hat ca. 1.800 Einwohner  plus Umgebung. Die Schule, von der ersten bis zur achten Schulklasse, besuchen ca. 380 Schüler.

Zurzeit von Hertha Müller gab es eine große deutschsprachige Gemeinschaft, heute gibt es in Nitzkydorf über zwanzig verschiedene ethnische Gruppen. Es gibt unter der Bevölkerung keinen Zusammenhalt mehr. Man hat Hertha Müller eine Ehrung bzw. ihren Namen der Schule zu geben angeboten, aber sie hat abgelehnt. Der Kommunismus wirkt in den Köpfen der Menschen noch nach, niemand braucht den anderen. Die Menschen müssen erst wieder soziales Empfinden entwickeln, ein soziales Niveau erlangen.  Der Sohn bezeichnet Rumänien als eine korrupte Demokratie. Der Schulneubau wurde von der EU gefördert, und ein kleines Museum für Hertha Müller eingerichtet.

Die gezeigten Bilder sind krass. Ein Zimmer dient als Küche, Schlaf und Wohnzimmer. Bis zu sechs bis acht Leute wohnen in einem Zimmer, beheizt mit einem kleinen Holzofen. Die Wände unverputzt, mangelnde sanitäre und elektrische Installationen. Das Krankenhaus ist eine Baracke, es fehlt an Hygiene, Op-Tücher, Bettwäsche und an Medikamenten, an allem.

Mangelware

furz:verbot

Eine Alternative um Istrien ohne Privatauto zu erkunden, sind die öffentlichen Verkehrsmittel. Vornehmlich die Busverbindungen. An der Küste verkehren die Busse an Wochen- und Sonntagen in  viertel- bis halbstündigen Intervallen. Zwischen den meist verstreut liegenden Orten im Hinterland sind die Verbindungen spärlicher. Oft findet man an den Haltestellen keine Fahrpläne und weiß nicht, wann der nächste Bus fährt. Nähern sich Einheimische der Bushaltestelle, ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass bald ein Autobus vorbeikommen wird. Bei der Fahrt in einem öffentlichen Bus ist mein Blick auf den Verbotstafeln oberhalb des Fahrersitzes hängengeblieben. Neben allgemein bekannten Verbotstafeln wie, Rauchen verboten, Telefonieren verboten und Bigmac essen verboten habe ich ein einmaliges Verbotszeichen entdeckt. Umgangssprachlich ausgedrückt, Furzen verboten.

Jetzt werden sich manche fragen, wie dies graphisch dargestellt wurde? Ich hoffe meine Beschreibung ist allgemein verständlich: Es ist eine gebückte Person abgebildet und dem Hinterteil entströmt eine Wolke. Obligatorisch wird die Wolke mit einem roten Kreuz durchgestrichen.

Siebenter Himmel.