BEFREI:ung

Eugen Drewermann, der von der katholischen Kirche seiner Ämter und Weihen enthoben wurde, hat in einem ORF Gespräch mit seinen Aussagen für orientierungslose oder verunsicherte Gläubige Hoffnung verbreitet. Als profunder Kenner der Heiligen Schrift und der menschlichen Seele sind seine mahnenden Aussagen überdenkenswert. Seine Schlüsselsätze lauten: Das Jesus keine Kirche als Institution wollte, er wollte die Angst der Menschen lindern. Die Angst vor dem Leben hier auf Erden und die Angst davor, was nach dem Tod sein wird. Er sieht in der Priesterelite eine Barriere zwischen Mensch und Gott. Gott will sich nicht in Rundbriefen verwirklicht sehen, sondern im Leben jedes Einzelnen. Die Priesterkaste war schon bei den Azteken und Ägypter eine Herrschaftsklasse. Sie benützt als Druckmittel das Jüngste Gericht.

 Die Bevölkerung ist früher durch die Feiern im Jahreskreislauf eine Zweckgemeinschaft mit der Kirche eingegangen. Man hat den Himmel durch den sonntäglichen Kirchgang geschenkt bekommen. Die veränderte Gesellschaft bedarf dieser Zweckgemeinschaft nicht mehr, sie kann sich in allen Bereichen Teile holen, sozusagen Lebensabschnittsglaube. Für die Jugend, für die keine Planung mehr möglich ist, nicht für zehn, nicht für zwanzig Jahre. Dies trifft auf den Beruf, die Partnerschaft und auf den Glauben zu. Sind die Pflichttermine, wie Erstkommunion oder Firmung vorbei, ist es auch oft mit dem Kirchenbesuch vorbei. Bei Lebenskrisen wird dem einzelnen Menschen nicht die Möglichkeit angeboten die Umstände zu ändern, sondern als Alternative „zu Glauben“. Zum Sonntag müsste es eine Alternative geben. Gottfindung kann auf vielen Wegen stattfinden, nicht nur in der Institution Kirche. Vor der Bestrafung der Sünde gehen die meisten Ängste aus.

Erbsünde

RISIKO:vernunft

Im Sommer kann es in den Bergen vorkommen, dass sich nach einem starken Gewitter ein Sturzbach gebildet hat und ein Stück von einem Wanderweg in die Tiefe gerutscht ist. Nicht immer ist es möglich den Urzustand sofort herzustellen, oft wird nur das Notwendigste ausgebessert. Dann gibt es vor der Baustelle den Hinweis: „Begehen auf eigene Gefahr“. Wir können mit unserer Vernunft abwiegen, ob uns der schöne Ausblick das Risiko wert ist. Verstand bedeutet Leben auf eigenes Risiko. Wir haben den Höhepunkt unserer persönlichen Freiheit hinter uns. Wir sind immer weniger bereit Risiko einzugehen, unsere Freiheiten auszunützen, wir sehnen uns nach Vorschriften. Dafür braucht man sich nur die Fülle von Verordnungen, die unser Freizeitverhalten reglementieren, anzusehen. Gerade dort, wo wir glauben am meisten frei zu sein. Dies beginnt beim Moped- Rad- und Skifahren mit der Helmpflicht, beim Autofahren mit der Gurtepflicht. Dazu zählt auch das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, sowie in Gasthäusern. Erlaubt es die Geldbörse versuchen wir mit allen Arten von Versicherungen, wie Gebäude- und Wohnungsversicherung, Kranken- und Lebensversicherung oder Freizeitunfallversicherung möglichen Risiken vorzubeugen. Frühgeburt.

SCHWINDEL:punkt

Manche Dinge sind einem unangenehm, man möchte sie verdrängen oder wie man in der Umgangssprache sagt: Man schwindelt sich darüber hinweg. Am Hinterkopf befindet sich ein Punkt, wird er durch eine harte Unterlage gereizt, so kann er Schwindel auslösen. Meistens schwindelt man sich an einer Behandlung vorbei. Viele Vorschriften bauen sich um einen auf, wie die Naturgesetze, Staatsgesetze, Kirchengesetze, die humansten Gesetze sind die Gottesgesetze. Die Kirchengesetze sind in Verruf geraten. Die Diskussionen um die Vorkommnisse in den katholischen Internaten haben in mir einen Punkt getroffen. Ich habe das Gefühl, als wäre ich an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Einige Schrammen sind geblieben. Dort sind Schuldgefühle eingeimpft, Barrieren aufgebaut worden. Werden Schrammen nicht fachgerecht versorgt, gereinigt und verbunden, so heilen sie schlecht und brechen immer wieder auf, sie vergiften den Körper.

Gegengift.

LEBENS:boot

Im Kurort Radenci in Slowenien, nahe der österreichischen Grenze bei Bad Radkersburg, steht der Kirchenneubau „Cerkev Sv.Cirila in Metoda“. Im Kirchenraum befindet sich auch ein Marienaltar. Diese Kirche wurde auf Verlangen von Jovanka, der Frau des verstorbenen Staatsgründers und Staatspräsidenten  Tito erbaut. Wie ist es dazu gekommen, dass im ehemaligen kommunistischen Jugoslawien, wo es offiziell keine christlichen Religionen gegeben hat, der Staatschef religiöse Gefühle zeigte und seiner Frau erlaubte eine Kirche zu errichten. Wie gläubig kann ein Atheist  im fortgeschrittenen Alter werden?  Erleben wir es nicht an uns selbst, dass wir mit zunehmendem Alter religiöser werden. Ich meine, es gibt im Leben zwei religiöse Phasen. Zur Ersten gehört die Kindheit, wo einem von den Eltern und dann in der Schule religiöses Verhalten und Wissen vermittelt wird. Im mittleren Lebensabschnitt glaubt man, alles selbst in der Hand zu haben. Für den Erfolg, das Glück, die Liebe selbst verantwortlich zu sein. Den Fortschritt, den man erreicht, aber auch einen Misserfolg, verbucht man auf sein eigenes Konto.

Die zweite religiöse Phase setzt im letzten Lebensdrittel ein. Man spürt, dass die körperlichen Kräfte, auch die geistigen Fähigkeiten, nachlassen. Es ist nichts mehr so wie in der Lebensmitte. Da wendet man sich gerne spirituellen, religiösen Themen zu. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass man aus dem Glauben eine Unterstützung erfährt, wenn man mit manchen Missgeschick, die jetzt häufiger auftreten, nicht zurechtkommt. Neben dem Ehepartner, den Kindern, dem Bekanntem und Freundeskreis holt man einen weiteren „Partner“ in das Lebensboot, um das stürmische Leben zu bewältigen.

Bei einem Kurzurlaub in einem Thermalhotel in Bad Radkersburg hat mich eine Frau gebeten, mit ihr zusammen den Lift zu benützen, da ihr das Alleinfahren Angst macht.

Lebensnotstand.

WERTE:skala

Unsere Alltagssituationen sind durch verschiedene Rangordnungen geregelt. Wie sich diese Hierarchie bemerkbar macht, ist ganz unterschiedlich. Es gibt kaum einen Lebensabschnitt, wo es nicht eine Struktur gibt. Es fängt in der Familie an, mit Vater, Mutter und Kindern. Wächst man mit  mehreren Geschwistern auf, sind die Regeln klar, der ältere Bruder oder die ältere Schwester hat das Sagen. In der Schule, während der Berufsausbildung und im Arbeitsalltag setzt sich das fort.

Intensiv gespürt habe ich die Auswirkungen der Rangordnung während meiner Internatszeit. Dort besuchten circa fünfhundert Schüler das Gymnasium. Die  Schulartikeln und auch Toilettensachen, wie Seife oder Zahnpasta, konnten wir abends in einem Shop von etwa 25 Quadratmetern kaufen. Geöffnet war er an Wochentagen in der Zeit von 19.30 Uhr bis 20.00 Uhr. Es war die Zeit zwischen Abendessen und der nächsten Studierstunde, der letzten am Tag. Als Zögling der Unterstufe ging ich schon eine Viertelstunde vor dem Aufsperren zum Laden, um in der Warteschlange vorne zu stehen. Der Shop war ein größeres Zimmer, mit einem Verkaufspult  quer durch den Raum und dahinter Regale mit den Schulartikeln. Um halb acht öffnete der Hausmeister, der auch als Verkäufer fungierte, die Tür zum Laden und alles stürmte hinein. Diejenigen, welche vorne einen Platz erkämpften hatten Glück, sie wurden als erste bedient. Der Nachteil war, man wurde von den Nachdrängenden fast erdrückt. Es verging keine Viertelstunde, dann kamen die Schüler der Oberstufe in die Kantine und wurden über unsere Köpfe hinweg bedient. Bei diesen Verhältnissen war es keine Seltenheit, dass ich mich für den Einkauf von einem Bleistift und zwei Heften dreimal vor der Kantine anstellen musste.

Heute glaubt man, dass die Hierarchie im Alltag an Bedeutung verliert. Im Speisesaal des Bildungshauses St. Georgen kann man sich vom Gegenteil selbst ein Bild machen.  Hinter dem Buffet  hängen an der Wand drei Bilder in absteigender Reihenfolge.  Das erste Bild zeigt Kardinal Ratzinger bei seinem Urlaub im Jahre 1990 in St. Georgen. Das Nächste zeigt Kardinal Ratzinger als Papst Benedikt den XVI. und das dritte Bild, das Unterste, zeigt den Bischof von Kärnten, Alois Schwarz.

Alle Brüder sind gleich.