sehn:sucht

Schaue ich aus meinem Schreibzimmer, so erfassen die Augen die Obstgärten der Nachbarn, schweifen über die Dächer einzelner Einfamilienhäuser hinweg auf einen bewaldeten Berghügel und werden dann von der mächtigen Front der Karawanken angezogen. Über ein Jahrzehnt genieße ich diesen Ausblick, der sich je nach Jahres- und Tageszeit anders darstellt. Der  markanteste  Berg in meinem Sichtfeld ist der Mittagskogel. Dessen Pyramide ragt breit und hoch in den Himmel. Sichtbar ist der Teil ober der Waldgrenze, der pyramidenförmige Felsen, der je nach Sonneneinstrahlung eine andere Farbe annimmt. Die mir zugewandte Seite wird ab dem frühen Nachmittag  bis zu ihrem Untergang von der Sonne angestrahlt. Dabei ergeben sich je nach Witterung spektakuläre Stimmungen. Nach dem ersten Schneefall färbt sich bei Sonnenuntergang der Schnee rötlich. An solchen Stimmungen kann ich mich nicht satt sehen. Bei den Berggipfeln der Karawanken endet mein Blick. Das Villacherbecken erlaubt seinen Bewohnern einen Rundumblick.

In Kärnten gibt es Täler, wo die andere Talseite gefühlsmäßig mit der Hand greifbar ist. Blickt man Tal auswärts, plant eine Flucht, wird man vom Bergmassiv des Dobratsch daran gehindert. Was ist im Sehnsuchtsort, Obere Adria, anders? Die große Ebene, die unverständliche Sprache, das fremde Gehabe. Eine Sorglosigkeit in den Gesten und bei der Arbeit. Die Leichtigkeit der Bauweise, sobald man die wehrhaften Trutzburgen im Kanaltal hinter sich gelassen hat. Vor dem Fremden breitet sich die Küste der Oberen Adria aus. Nach einer Begrenzung werden die Augen vergeblich suchen. Der Blick verliert sich im Horizont, wo sich die Adria mit dem Himmel vermählt.

Sandstrand

apollo:11

Vor drei Monaten feierte man mit viel Getöse und vielen TV- Sendungen die erste Mondlandung vor fünfzig Jahren, geglückt ist sie der Besatzung von Apollo 11. Aus Nostalgie habe ich mir das Buch vom Molden Verlag, Die Mondlandung, antiquarisch besorgt. Die Auflage stammt aus dem Jahre 1969. Von der Seitenanzahl übertrifft es alle  Neuerscheinungen zu diesem Ereignis. Bei den Sachbüchern hat sich das Layout wesentlich geändert, der Aufbau der Seiten ist heutzutage viel übersichtlicher. Zu jenem Zeitpunkt habe ich in einer Buchhandlung gearbeitet und ich kann mich an den Verkauf obiges Buch erinnern. Zudem gab es eine Fülle von Sonderausgaben verschiedener Zeitschriften, die sich der Mondlandung widmeten. Erstmals erschien die Bild-Zeitung aus Anlass der Mondlandung mit farbigen Bildern. Bis dahin waren Farbfotos in den Tageszeitungen unbekannt und es dauerte noch ein Jahrzehnt bis der Vierfarbdruck bei den Tageszeitungen Einzug hielt.

Die Übertragung der Mission von Apollo 11 war das erste weltweite Fernsehereignis. Wie die heutigen Großereignisse, Fußballweltmeisterschaft, Olympische Sommer- und Winterspiele war diese Mission ein Motor für die Elektrohändler. Mit Blick auf das Event wurde kräftig für den Kauf eines Fernsehers Werbung gemacht. Die Fernsehapparate waren Monster vom Gewicht und vom Umfang her. Die Bildschirme waren gegenüber den heutigen Flachbildschirme winzig. Einen eigenen Fernseher besaß ich erst ein paar Jahre später, dies war ein TV-portable, dessen Bildschirm so groß war wie die Bildfläche eines 17 Zoll Leptos. Die Werbung vor dem Hauptabendprogramm war ein Muss. Intensiv in meinem Gedächtnis geblieben ist die TV Reklame  für das Waschmittel der Weiße Riese. Kann man dieses heute noch kaufen? Die Werbung für Humanic Schuhe endete mit Franz.  Diese Werbeeinschaltungen wurden von den  Literaten der Wiener Gruppe gestaltet, mit den Mitteln der konkreten Poesie.

Franz

land:gang II

Ich hatte gewisse Zweifel an der Geschichte, auf jeden Fall sah ich darin eine grenzenlose Sorglosigkeit. Wir wollten ihnen keine Moralpredigt halten, aber an Bord wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass man beim Landgang nur die Bordkarte und ein Minimum an Bargeld mitnehmen soll. Für die sichere Aufbewahrung von Bargeld, Kreditkarten und Wertsachen gibt es in jeder Kabine einen Tresor. Mit Vorwürfen auf ihr unkluges Verhalten und Mitschuld hielten wir uns zurück. Das Abendessen verlief gedrückt. Am Ende vom Abendessen wandte sich der Bestohlene an ein anderes Ehepaar am Tisch, dieses war aus demselben Land.  Beide unterhielten sich im Flüsterton. Ich ahnte, dass sie diese bitten würden, ihnen Geld zu borgen. Nach dem Abgang wurde uns dies bestätigt. Der Mann schob die Entscheidung über eine Unterstützung auf seine Frau, die Schatzmeisterin wie er betonte, ab. Wir machten den Vorschlag, wenn sie Geld borgen, dann beteiligen wir uns daran. Die Angesprochenen hielten sich mit einer Zusage bedeckt. Wie erwartet fehlte das Ehepaar am nächsten Tag beim Abendessen. Sie werden sich auf Deck Neun beim Buffet schadlos gehalten haben.

Nachdem das bestohlene Ehepaar beim Tisch Platz genommen hatte, erklärten wir von uns aus, dass wir sie für einen Landgang mit einem Geldbetrag unterstützen. Zugleich verzichteten wir auf eine Rückerstattung des Geldes. Zu den vielen Nebenspesen, welche bei einer Kreuzfahrt entstehen, war dies ein entbehrlicher Betrag. War dieser ansonsten aufbrausende und dominante Mann ein guter Schauspieler oder rührte ihn unsere Geste von Herzen? Nach unserem Vorschlag brach er in Tränen aus, sodass ihm seine Frau ein paar Taschentücher reichen musste.

Tempo Taschentücher

land:gang

Auf einem Kreuzfahrtschiff kann man abends im Restaurant aus einer umfangreichen Speisekarte wählen. Das Servieren der Speisen erfolgt außerordentlich rasch und aufmerksam. Das Tischgespräch plätschert an den ersten Abenden so dahin, von der  Unterbringung in den Kabinen bis zum Unterhaltungsprogramm im schiffseigenen Theater. Dazu gehören auch die Eindrücke von einem Tagesausflug, einer Stadtbesichtigung und den baulichen Sehenswürdigkeiten. Von einer Kurzvisite in das Landesinnere oder die Erfahrung wie man mit dem Fahrrad die Küste erkundet hat. Man schwärmt vom großen Fachwissen des Reiseführers. Ohne Führung durch die Innenstadt zu Bummeln, sich unter die Einwohner zu mischen, ist nur in Ausnahmen möglich. Dann, wenn der Anlegeplatz des Schiffes nur ein bis zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt ist. Werden Tischgenossen in ihren Erzählungen emotional, dann war man mit dem Reiseleiter unzufrieden, jemand hat sich verletzt oder einem Teilnehmer wurde etwas gestohlen.

Eines Tages ist ein Ehepaar entrüstet zum Abendessen gekommen, der Mann hat mit seiner Wut nicht lange hinter den berggehalten. Den Nachmittag haben sie in Klaipeda  am Hafen in einem Cafe verbracht. Dabei wurde dem Mann die Brieftasche, eigentlich der Inhalt geklaut, das Geld, die Kreditkarte und andere Dokumente. Während dem Kaffeetrinken hatte er die Brieftasche und das Handy am Tisch liegen und nach dem Bezahlen aus Versehen nur das Handy eingesteckt. Seinen Irrtum hat er auf der Straße bemerkt und ist zurück in das Cafe geeilt. Zu seiner Freude ist die Brieftasche noch am Kaffeetisch gelegen. Beim Öffnen der Brieftasche fehlten das Geld und die Kreditkarte. Die Bedienung beteuert nichts Verdächtiges beobachtet zu haben. Das Übliche, wie er sich ausdrückte. Wutentbrannt saß das Ehepaar beim Abendessen.

Auf unsere Nachfrage, eigentlich Anteilnahme, erklärte der Mann, dass ihr ganzes Geld und auch die Bankomat Karte gestohlen  wurden. Auch das Geld und die Kreditkarte der Frau hätten sich in der Brieftasche befunden. Es gab die erwarteten Beschuldigungen und Beschimpfungen auf die Einheimischen, über ihren Umgang mit Touristen. Bedauerlicherweise hätten sie jetzt keine Möglichkeit, besser gesagt kein Geld, um noch einen Landgang in Talin zu buchen. Alle Interventionen auf das Schiff einen Geldbetrag zu überweisen seinen gescheitert.

Seenot

reise:stress II

Für die männliche Seite gibt es in manchen Partnerschaften insofern eine Erleichterung, dass die bessere Hälfte das Einpacken der Garderobe übernimmt. Zumindest eine Vorauswahl trifft. Mitunter zermartere ich mir bei Nebensächlichkeiten, welche Urlaubslektüre und wieviel Notizhefte soll ich einpacken, den Kopf. Aus Erfahrung weiß ich, kommt man wegen Belanglosigkeiten im Alltag  nicht zum Lesen, so setzt sich dies beim Reisen fort. Zum einem will ich mich den Unterhaltungsmöglichkeiten im Urlaubsort nicht verschließen und das Spa- und Fitnessprogramm soll auch nicht zu kurz kommen. Danach bleibt vom sogenannten Urlaubstag nicht viel übrig. Bei einem prallen Tages Programm verlangt der Körper, mehr noch der Geist, abends ein sanftes Ruhekissen.

Beim Einpacken der Reisegarderobe stelle ich fest, es mir schwer fällt die passende Kleidung zu finden. Dies hat einen einfachen Grund, zuhause bin ich mit der vorhandenen Garderobe zufrieden, aber bei einem genauen in Augenscheinnehmen stelle ich fest, ich habe nichts zum Anziehen. Vieles finde ich für den täglichen Gebrauch in der heimatlichen Umgebung passend, aber für den Urlaub zu wenig praktisch und schön. Am Reiseziel werde ich von den anderen Gästen mit unbekannten Augen betrachtet. Die Absicht ist nicht nur den Körper zu relaxen, sondern ein neues Bild abzugeben, mich von einer besseren Seite zu präsentieren. Wie weit kann ich die Neugierde von fremden Menschen wecken? Die beste Zeit und Gelegenheit dafür ist der kommende Urlaub. Im Urlaub geht es auch darum sein Selbstbewusstsein zu regenerieren. Ein Faktor ist eine elegante oder topmodische Kleidung. Auf der Panoramaterasse ein Buch zu lesen zieht ein gewisses Augenmerk auf sich, wo die halbe Menschheit sich als Wischer am Smartphone oder Tabletts outet. Anarchie zeichnet den Buchleser aus, erreicht aber nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie eine ausgefallene Kleidung.

Buchstapel