Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

LAUB:reise

LaubreiseZum Österreichpavillon kommt man auf dem Biennalegelände in Venedig zuletzt. Dieses Jahr hat man den Pavillon um einen Container erweitert, dort wird die Installation „Laubreise“ von Franziska und Lois Weinberger präsentiert. Diese Installation ist ein Komposthaufen in Quaderform von gepresstem Laub, Gras und Zweigen, der langsam verrottet. Betritt man den Container, so wird man von einem Pilzgeruch empfangen. Ich kenne diesen Geruch von meiner Arbeit am Bauernhof, wenn das Laub, „die Streb“, für die Kühe zusammengerochen wurde. Am Boden quillt aus dem Quader Jauche hervor, wie aus einem Misthaufen. Es ist ein Prozess der Vergänglichkeit, der durch das südliche Klima, Hitze und Feuchtigkeit, beschleunigt wird. Vielleicht steht die „Laubreise“ für die Frage, wohin die Reise unserer Umwelt, unserer Natur geht. Was passiert, wenn alles verrottet, und wir in unserer Jauche, einer unappetitlichen, stinkenden Flüssigkeit stehen.

Im Herbst haben wir am Bauernhof an schönen Tagen mit dem Zusammenrechen vom Laub, der Streb, begonnen. Das Laub wurde mit einem Strebwagen, die Seitenwände bestanden aus geflochtenen Weiden, in den Heustadel geführt. Das Laub wurde zum Einstreuen der Kühe verwendet. So hatten sie auf dem Steinboden ein weiches Nachtlager. Zuerst wurde die alte Streb auf den Misthaufen gebracht und dann mit dem Ruckkorb die frische Streb hereingebracht. Die Streb hatte diesen modrigen Geruch, dem ich bei der „Laubreise“ auf der Biennale begegnet bin. Im Frühjahr wurde der Mist mit dem Strebwagen auf die Felder gebracht und die Jauche, welche sich über den Winter gebildet hat, direkt auf die Felder geleitet.

Zeitreise.

TAUSCH:handel

Auch an Orten, bei Wohnungen, wo die nächste Straße mehrere Hunderte Meter entfernt ist, kann man den Straßenlärm hören. An schönen Tagen, wenn der Wind weht und dazwischen aus einem angrenzenden Garten der helle Ruf eines spielenden Kindes. Gegen dieses Rauschen, das am frühen Vormittag und am späten Nachmittag am stärksten ist, gibt es keine Rechtshandhabe. Wir leben in einer Gesellschaft mit klaren Rechtsregeln, wir sind in einem stabilen Rechtssystem aufgewachsen. Es ist ein seltener Zustand, wenn es im Kopf völlig still wird, wir sind nicht nur dem Lärm von außen ausgesetzt. Die moderne Hirnforschung sagt, dass wir unsere Tätigkeiten unabhängig von unserem Willen ausführen. Wir bestätigen im Nachhinein die Entscheidung unsers Gehirn, dies ist der freie Wille. Wir haben die Möglichkeit etwas nicht zu tun, uns gegen unser Gehirn aufzulehnen.

Als Kind lernen wir, dass es menschliche Regeln gibt, jeder seine Freiheiten hat, aber keine endgültigen Freiheiten. Ohne Regeln würden wir ständig agieren, wir würden die Grenze des Nächsten überschreiten. Grenzenlose Freiheit würde uns in die Unfreiheit führen, das sichere Leben würde zur Unsicherheit ausarten. Jedes Lebensalter bietet andere Freiheiten, Lebensabschnittsfreiheiten. Die Freiheit der Jugend, bei Mode, Unterhaltung oder Verantwortung unterscheiden sich in vielen Punkten von den Freiheiten des Alters. Die unfreiste Zeit des Lebens ist die Zeit der Lebensmitte. Im Alter nützt man noch einmal die menschlichen Freiheiten aus, besitzt man ein gesundes Mass an Selbstbewusstsein und blickt auf sein Leben mit Selbstachtung zurück. Es ist die Zeit, sich noch einmal gegen gesellschaftliche Entwicklungen aufzulehnen, vieles nicht gut zu heißen. Sich nicht durch Jugend und Schönheit in das Abseits drängen lassen. Die einzige Grenze der Altersfreiheit ist die Grenze des eigenen Lebens, die Begrenztheit der Lebensjahre.

Altersfreiheit gegen Jugend.

HUNDE:treue

In der Innenstadt von Villach kann ich beobachten, wie treu ein Hund sein kann, oder ist es die Aussicht auf eine Belohnung? Eine Frau überquert mit einem Hund an der Leine einen kleinen Platz. Der Hund dreht sich immer wieder um und richtet seinen Blick nach oben, zu einem Fenster in einem mehrgeschossigen Wohn­haus. Die Frau drängt den Hund zum Weitergehen, er macht genau das Gegenteil. Er dreht sich um, setzt sich auf sein Hinterteil und blickt zu den Fenstern im ersten Stock empor. Er ist mit Worten nicht  zu bewegen seinen Platz zu verlassen, er fängt leise zu jammern an. Die Hundebesitzerin erklärt: “Normalerweise zeigt sich eine Bekannte hinter dem Fenster, öffnet das Fenster und wirft dem Hund  einen Leckerbissen zu”. Heute bleibt das Fenster geschlossen, es brennt auch kein Licht in der Wohnung. Der Hund ist nicht bereit weiterzugehen und fängt zu klagen an. Um sich Klarheit zu verschaffen, will die Hundebesitzerin in den Wohnblock gehen und bei der Bekannten anläuten. So kann sie klären, ob sie nicht zu Hause ist oder ob sie irgendwelche Beschwerden hat.

 

Pflichtbewusstsein. 

UN:glaube

Zwischen den Kulturen ist ein Streit ausgebrochen, wer die Ungläubigen sind. Die westliche Welt, darunter christliche Regierungen, bezeichnen seit dem 11. 9. 2001, dem Tag des Anschlages auf das Word Trade Center, die Menschen im Nahen Osten als die Ungläubigen, als Ort des Bösen. Umgekehrt werden wir von den radikalen Muslimen als die Ungläubigen beschimpft. Sie sehen in unserem freizügigen und gottlosen Leben das Ungläubige. So wird der Ball zwischen West und Südost hin und hergespielt. Der Großteil der Menschen im Westen ist im Sinne der Kirche nicht gläubig. Die Meisten leben eine Frömmigkeit „light“. Manche der mittleren Generation schauen ungläubig, wenn man vom Glauben spricht.

Die Ungläubigkeit beginnt beim Aufwachen in der Früh und wir feststellen, dass das tatsächliche Wetter, nicht mit der Wettervorhersage übereinstimmt. Wir können es nicht glauben, das Schönwetter ist, weil Niederschläge angekündigt wurden. Wir beten das Schlechtwetter mit unseren Gedanken herbei. Man gewinnt den Eindruck, dass man Macht über das Wetter hat, mehr Macht, als man sich selbst zugetraut hat. War man Zeuge eines Verkehrsunfalles mit Blechschaden, glaubt man erst daran, wenn eine Notiz in der Lokalpresse steht. Ansonsten ist es nicht passiert.

 Wer glaubt, wird selig.