ver:hext I

In Kärnten werden, Datenschutzbestimmungen hin oder her, in den lokalen Nachrichtenblätter der Kommunen die Geburten, die Todesfälle und die Eheschließungen verlautbart. Ab dem Fünfundsechzigsten Geburtstag, dem offiziellen Antrittsalter für die Rente,werden in der Gemeindezeitung auch Glückwünsche zum Geburtstag übermittelt. Ergänzt werden diese beliebten Verlautbarungen mit Fotos, wenn der Bürgermeister die Glückwünsche zu einem neunzigsten Geburtstag oder einer Goldenen Hochzeit selbst überbracht hat. Meistens ergibt sich dasselbe Bild, der Bürgermeister als Gratulant neben den zu Gratulierenden.

Der Hinweis auf die Datenschutzbestimmungen brachte die Krankenbesuche von Mitgliedern einer Villacher Pfarre zu Fall. Engagierte Personen vom Sozialkreis besuchten, vor allem die Alleinstehenden und älteren Personen im Krankenhaus. Sie sprachen ihnen Trost und Hoffnung zu. Nach Jahren einverständlicher Zusammenarbeit wurde die Datenübermittlung der stationären Patienten vom Krankenhaus eingestellt.

Es ist nicht selbstverständlich, ist man zu einer Feier geladen, das Geburtstagskind vor strotzender Lebensfreude anzutreffen. Bei älteren Personen verursacht der Besuch des Bürgermeisters, handelt es sich um eine fromme Person kommt der Besuch eines Geistlichen hinzu, ein hohes Maß an Aufregung. Sie versuchen sich von der besten Seite, von der humorvollen und gesunden Art, zu zeigen.Trotzdem können sie die Nervosität, welche durch diese hohen Besuche ausgelöst werden, nicht zur Seite schieben. So überstehen sie den Besuch des verehrten Bürgermeisters und des ehrwürdigen Pfarrers, am Vorabend vom Geburtstag, mit Bauchweh.

Am Geburtstag selbst, wo am Nachmittag die Kinder und Enkelkinder und ein Teil der Verwandten kommen wird, fühlt man sich zu Mittag übel und schwindelig. Das chronische Blasenleiden macht sich bemerkbar, fast hätte man es vergessen. Ein  schlechter Zeitpunkt um immer wieder die Toilette aufzusuchen.

Blasentee

stress:falle

Der Haushalt entpuppt sich als Stressfalle, soll doch vieles in ein paar Stunden erledigt sein. Auf keinen Fall will man wegen der Hausarbeit das Fest am Abend versäumen und vormittags war man im Teilzeitjob. Wer glaubt, im Urlaub werden die Menschen die Anstrengungen aus dem Alltag los, braucht sich nur beim Abendessen im Speisesaal umzuschauen. Es bildet eine Ausnahme, erblickt man ein entspanntes und fröhliches Gesicht, in lockerer Unterhaltung.

Die Meisten leiden nach dem Ausscheiden aus der Arbeitswelt fortan an einer Unterforderung. Sie genießen die neue Freiheit in der Pension nicht. Es wird versucht sich an möglichst vielen Projekten und Aufgaben zu beteiligen. Dadurch verspüren sie fortan den Stress auch in der Pension. Die Venen sind nicht mehr so belastbar wie in der Lebensmitte und reagieren auf den gleichbleibenden inneren und äußeren Druck mit Ausbuchtungen. Diese bleiben lange unbemerkt, bis die Elastizität des Gewebes nachlässt und ein Gerinnsel im Kopf einen Schlaganfall auslöst.

Die Überforderung eignet sich gut für verschiedene Verkaufsaktionen. In der Zeitschrift des Kneippvereins oder des Ordensspitals werden neben dem Fachartikel, wie man die innere Ruhe bewahrt, Werbung für unterschiedliche Schlaf- und Beruhigungsmittel geschalten. Die Nähe zwischen der Anleitung für inneres Wohlbefinden und bezahlter Werbung ist verblüffend. Bei allen medizinischen Aufsätzen werden die Einschaltungen der Pharmaindustrie mit den passenden Produkten platziert. Die Senioren sind eine beliebte Zielgruppe, weil mit dem Alter stellen sich Störungen bei der Nachtruhe und bei der Stimmung ein, weiters Beschwerden am Bewegungs- und Verdauungsapparat. Der Seniorenalltag zeigt sich nicht immer von der sonnigen Seite, wie er von den Plakatwänden der Reisebüros um die Wette strahlt.

Südseeinsel.

sicht:weise II

Wenn es um Entscheidungen im Beruf geht, welche Werbemittel man einsetzt um die Fleischerei zu bewerben, wird es existenzieller. Die Großbetriebe treffen keine Bauchentscheidungen, alles wird von Werbe- und Marketingprofis gesteuert und kontrolliert. Sie verfügen über die rechnerische Kompetenz und können verfolgen, wie sich der Umsatz bei den beworbenen Artikeln entwickelt. Anders agieren Kleinbetriebe. Von ihnen wird verlangt, sie sollen die in Bedrängnis gekommenen Dorfzentren durch Gemeinschaftsaktionen beleben. Durch Aktivitäten wie Vollmondshoppen, Wühltische, Wettkämpfe und Verlosungen den Hauptplatz beflügeln. Sie verfügen zumeist über keine Kontrollinstrumente, ob sich der finanzielle Aufwand für das Straßenfest gelohnt hat. Sie sind auf das Bauchgefühl angewiesen und dabei wird es keine einhellige Meinung geben.

Wie sich die Sichtweise bei Menschen in Minutenschnelle verändert erlebte ich beim Besuch der Stadtapotheke. Ich besorgte für eine Nachbarin, vor ihrem Kurantritt, für drei Wochen die Medikamente. In der Apotheke warteten viele auf die Bedienung. Es war gerade so, als wollten sich die Villacher vor der nächsten Grippewelle mit Medikamenten eindecken. Früher einmal hatte man das Kranksein für den Winter aufgehoben, wo in der Landwirtschaft und im Garten weniger Arbeit war. Auch die Handwerker im Baugewerbe versuchten ihre Beschwerden hintanzuhalten, um sie während der Stempelzeit auszukurieren. Ausnahmen waren akute Erkrankungen oder Unfälle.

Beim Warten machte eine ältere Frau aus der Warteschlange drei Schritte vorwärts, um sich an der Budel abzustützen. Sie gibt mir zu verstehen, dass sie sich nicht vorschwindeln möchte, sondern Probleme mit dem Kreislauf hat. Meine Äußerung: “Wir werden alle älter, da kommt es leider zu Beschwerden, vor allem bei kalter Witterung”, kommentierte sie mit einem schmeichelhaften:, “Sie können bei den Altersbeschwerden nicht mitreden, sie sind ja noch ein junge Mann”. Damit veränderte sich meine Sichtweise auf meine Befindlichkeit und auf mein gefühltes Alter.

Erstaunt zeigte sich die Frau, als ich der Apothekerin drei Rezepte reichte und sie mit acht verschiedenen Medikamenten zurückkam. „Ja, auch junge Menschen können schon an verschiedenen Krankheiten leiden“, quittierte sie ihre Überraschung. Auf die Frage der Apothekerin, ob ich eine Tüte brauche, verwies ich auf meinen Stoffbeutel. Dort hatte ich schon einen Laib Brot und zwei Nußschnecken verstaut. Ich ergänzte, die Medikamente gehören zu meinem  täglichen Brot.

Immer öfter.

sicht:weise I

Ich habe mich schon lange davon verabschiedet, dass es zwischen mehreren Personen zur selben Sache eine einhellige Auffassung geben muss. In bestimmten Lebensbereichen ist es unumgänglich, dass man zu einer Meinung kommt. Nicht umsonst werden Gesetze erlassen, sodass wir im Alltagsleben in wesentlichen Sachen, egal ob es um Sicherheit, Steuern, Verkehr und vieles mehr handelt, eine Orientierung haben. Dabei sollte man nicht vergessen, dass sich einzelne Gesetzestexte an Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit gegenseitig überbieten. Dadurch will man jede Unsicherheit ausschließen, dabei sind die Gesetzestexte der kürzere Teil der Vorschrift. Viel umfangreicher sind zumeist die Auslegungen in der Praxis, vor allem die Kommentare zu den Gerichtsurteilen.

Die eigene Sichtweise hängt davon ab, auf welcher Seite man steht, welche persönlichen Interessen man hat. An einem alltäglichen Vorkommen illustriert. Im Ortskern reihen sich an einer Bundesstraße Privathäuser, Geschäftshäuser und Gasthäuser, teilweise unterbrochen durch kleine Vorgärten, aneinander. Die Fleischerei will zur Straßenseite eine neue Leuchtreklame montieren. Auf einer Seite wird die Sichtbarkeit der Werbeschrift durch einen immer größer werdenden Eschenbaum beeinträchtigt. Der Metzger ist der Meinung, ein so großer Baum hat im Ortskern nichts zu suchen. Die Äste werden mit den Jahren Schäden an seinem Hausdach verursachen. Es wäre an der Zeit den Baum zu fällen, gleichzeitig könnte sein neues Reklameschild die volle Wirkung entfalten. Dem hält der Bundesbahnbeamte, der Besitzer des kleinen Vorgarten in dem der Baum steht entgegen, entlang der Bundesstraße werden soundso immer mehr Bäume gefällt. Es könnte hilfreich sein, wenn man die störenden Äste entfernt. So stehen sich zwei Interessen und zwei Sichtweisen gegenüber.

Es gibt alltägliche Vorfälle, wie beim Frühstück. Ob das Brot hart oder weich ist, ob zu viel Marmelade auf dem Butterbrot ist oder zu wenig, ob der Kaffee zu süß ist oder angenehm? Jeder sieht es, nach seinem Geschmack, anders.

Geschmacksnerven.

IM:AM

Es gibt Fragen, welche sich auf den ersten Blick beantworten lassen. Es gibt Experimente, welche sich auf den ersten Blick als harmlos herausstellen. Es gibt Gedanken, welche auf den ersten Blick als unwichtig erscheinen. Welche Unterschiede ergeben sich in der Bedeutung, wenn man in einem Satz das Wort IM statt AM oder umgekehrt, wenn man in einem Satz AM statt IM verwendet? Eine kleine Kostprobe.

IM See spazieren gehen oder AM See spazieren gehen. IM Wald wohnen oder AM Wald wohnen. IM Bahnhof warten oder AM Bahnhof warten. IM Anfang war das Wort oder AM Anfang war das Wort.

Bei diesem kleinen Sprachexperiment verändert sich durch den Austausch von nur einem Buchstaben der ganze Inhalt. Im Kloster zu Wiblingen steht  über dem Bibliothekseingang der Satz, Alle Schätze der Weisheit und der Wissenschaft. Dort gibt es Bücher, ein Regal voll, wo darüber ein Disput geführt wird, welcher Art die ursprünglich Version beim Johannesevangelium gewesen ist: IM Anfang war das Wort oder AM Anfang war das Wort. Wobei jeweils die Gegenpartei die andere Partei beschuldigt, dass in den ersten Jahrhunderten des Christentums, die jeweils andere Version falsch übersetzt oder überliefert wurde.

Nicht nur in Wiblingen, auch in anderen Bibliotheken wundert man sich über die Fülle von theologischen Werken, welche sich oftmals mit Fragen beschäftigen wie: Wie viele und welche Tiere waren in der Arche Noah und waren sie dort nach Geschlechtern getrennt untergebracht? Gutgemeint spekulierte man auch darüber, ob unter den Tieren so etwas wie eine Rangordnung  eingehalten wurde? Wie konnte es Noah vermeiden, dass zum Beispiel die Maus nicht von der Katze oder der Frosch nicht von der Schlange gefressen wurde? Mit solchen konkreten Fragen beschäftigten sich Weise und füllten damit die Buchbestände der Bibliotheken.

Wir sollten uns Gott, neben allen ehrwürdigen und weisen Eigenschaften, auch als einen Gott mit Humor vorstellen, der sich für seinen Alltag  etwas Abwechslung wünschte. Was lag dabei näher als ein Ebenbild zu schaffen, versehen mit kleinen Fehlern, den Menschen. Wie sollte man sonst die Ewigkeit ertragen?

FASCHING