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Viele werden sich die Gratiszugfahrt anders vorgestellt haben. Die Dame neben mir hatte ihren Hund dabei, welcher sich am Boden bei ihren Füßen, versehen mit einem Maulkorb, ruhig verhielt. Ich bemerkte, dass ich zum Glück keine Allergie gegen Hundehaare habe. Wohl aber allergisch auf einige Pollen im Frühjahr reagiere und auf die europäische Hausstaubmilbe. Dies wurde gerade erst bei einem Allergietest festgestellt. Die Hausstaubmilbenallergie entbindet mich von jeder Hausarbeit wie Staubsaugen oder Staubwischen. Bei dieser Bemerkung gab es plötzlich rundum schmunzelnde Gesichter und ein zurückhaltendes Lächeln. Die Frau nützte die Freifahrt für einen Ausflug nach St. Veit, sie war noch nie dort. Allerdings gibt es die Gratisfahrt nur für ihre Person, für den Hund musste sie einen Fahrschein lösen. Der Mann gegenüber erzählte, dass er das Bahnangebot dazu benützt um nach Friesach zu fahren. Er will sich dort über den mittelalterlichen Burgenbau informieren. Der Burgenverein hat sich zum Ziel gesetzt, eine Burg mit den Baustoffen und den Werkzeugen zu errichten, welche im Mittelalter den Handwerkern zur Verfügung gestanden sind. Der Mann kam aus Gmünd und war ein pensionierter Maurer. Er freute sich darauf, bei einer Führung in die Bauweise des Mittelalters Einblick zu erhalten. Damals wurden alle Steine mit Hand Meisel behauen und das Holz mit Axt und Handsäge bearbeitet. Für die Leistung dieser Handwerker hegte er großen Respekt, vor allem wenn man sich die gewaltigen Burgen ansieht.

Er war bei der Baufirma Isola & Lerchbaumer, heute Strabag, in Spittal an der Drau beschäftigt. Besonders im Herbst war der Arbeitsstress auf der Baustelle groß, weil viele Arbeiten mussten vor dem Winter fertiggestellt werden. Bei den Hotels wurden in der Zwischensaison die notwendigen Renovierungsarbeiten durchgeführt. Wenn am 22. Dezember der letzte Handwerker bei der Hintertür das Hotel verlassen hat, ist vorne beim Hoteleingang der erste Weihnachtsgast hereingekommen. Beim miteinander reden verging die Zeit schnell und wie wir in Klagenfurt ausgestiegen sind machten die Meisten ein fröhliches Gesicht.

auto:bahn

Im Villacher Becken hatten wir eine sonnige, milde, erste Oktoberhälfte, in dieser Zeit habe ich mir erste Notizen für diesen Blogbeitrag gemacht. Auch weil in allen öffentlichen Medien die Aufrufe zum sparsamen Umgang mit der Energie, egal ob Benzin, Gas, Strom, Fernwärme & Warmwasser immer massiver geworden sind. Mir ist diese Dringlichkeit unwirklich vorgekommen, auf dem Balkon blühten die Rosen, die nahen Gärten waren voll mit Endiviensalat und Tomaten, rosaroten und violetten Herbstblumen. Die Sonnenstrahlen reichten aus um das Wohn- und Schreibzimmer zu beheizen. Wie Hammerschläge klopften die Worte Mobilitätswende, Energiekrise und Ukrainekrieg an die Glasscheiben der Schiebetüren vom Balkon.

Jährlich im Herbst wird versucht die Kärntner von den Vorzügen des öffentlichen Verkehrs zu überzeugen. Eine Woche lang haben alle die Möglichkeit Bus und Bahn gratis zu benützen. Die Partnerin und ich waren der Überzeugung, dass an einem Wochentag der Andrang zu der gratis Bahnfahrt nicht so stark sein wird, wie am Wochenende. Wir planten für den Mittwoch einen Stadtbummel in Klagenfurt und für die Hin- und Rückfahrt den Zug zu benützen. Eine Viertelstunde vor der Abfahrt waren wir in Villach am Bahnsteig. Durch die Zugfenster sahen wir, dass die Abteils schon gut besetzt waren. Auch hinter uns strömten weiter Menschen auf den Bahnsteig. Rasch stiegen wir in den nächsten Waggon ein und erwischten zwei freie Sitzplätze. Mich wunderte es nicht, wie steif und für sich abgekapselt die Fahrgäste auf den Sitzen saßen. Unter ihnen werden einige eher in Ausnahmefällen mit dem Zug fahren oder möglicherweise überhaupt das erste Mal. Wohl jeder wird sich an das geflügelte Wort aus Coronazeiten erinnert haben, Abstandhalten und Maskentragen. Hier sitzt man heute Jacke an Jacke, Sakko an Sakko, in einem überfüllten Zug, alle ohne Maske. Bei manchen ist das Lächeln im Gesicht zu Eis erfroren, kein Hallo oder ist der Platz noch frei.

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Zum Zahlen meiner Zeche betrete ich in der Bahnhofstraße in Spittal/Drau den Schankraum des Cafe Riedl. Gegenüber der Kellnerin erwähne ich beiläufig, dass ich in der Nachbarschaft vor fünfundfünfzig Jahren meine Ausbildung als Buchhändler gemacht habe. Damals gehörten zum Café ein Reisebüro und eine Fahrschule. Ein Haus weiter gab es die Stadtlichtspiele Spittal/Drau. Hier besuchte ich den Film Doktor Schiwago. Die Kellnerin weiß von der vormaligen Buchhandlung nichts, aber vielleicht die Chefin? Eine resolute Dame mit ergrautem Haar kommt aus der Küche. Der Gesichtsausdruck und die Art der Friseur erinnern mich an die hübsche Besitzerin zur Zeit meiner Lehrjahre. In meiner Zeit als Ladlschupfer war ich ein schüchterner Verehrer von Frau Riedl. Die Mama, meint die resolute Dame, ist vor ein paar Jahren verstorben. An das Papier- und Buchgeschäft kann sie sich gut erinnern, dort hat sie als Kind ihre Schulsachen eingekauft, bei der Frau Traudl.  Frau Traudl war während meiner fünf Jahren in der Bahnhofstraße die Erste Verkäuferin und Lehrmeisterin in der Papierhandlung. Heute würde man sagen die Lehrlingsausbildnerin im Papier- und Bürowarenbereich. Um die Ausbildung im Buchhandel hat sich der Chef selbst bemüht, respektvoll Herr Harald genannt. Frau Hertha, seine Frau und von Beruf Volksschullehrerin war zeitweise auch im Geschäft.

Nicht vergessen habe ich die Seniorchefin, die immer wieder einmal in den Laden gekommen ist. Frau Traudl hat sie gefragt, warum wir dieses und jenes im Betrieb anders machen als zu ihrer Zeit? Darüber hat sie sich auch bei Harry beklagt, der etwas genervt auf ihre Vorhalte reagiert hat: „Mama, dies ist heute anders“. Das Unverständnis darüber, was sich alles verändert oder was die Jugend anders macht, hat es auch schon vor fünfzig Jahren und vor fünfhundert Jahren gegeben. Bei aller Nostalgie möchte ich mir nicht vorstellen was Herr Harald dazu sagen würde, dass im ehemaligen Verkaufslokal der Papier- und Buchhandlung heute ein nationaler und internationaler Lebensmittel Markt eingerichtet wurde. Ich glaube, dass er kein Fan von Lebensmittel aus den Balkanländer wäre. Meiner Lebensgefährtin habe ich vorab per WhatsApp ein paar Foto aus dem türkischen Supermarkt geschickt. Daraufhin hat sie mir geschrieben: „Ich türkischer Lebensmittelverkäufer nix mehr Buchhändler“.

11. September :2001 /II

Waren die Anschläge in New York vom 11/09 ein „Wendepunkt“ für die Zukunft der Welt? Der Gedanke über die Auswirkungen ist etwas überhöht, wohl nur für die Westliche Welt. Im Westen neigen wir zum Denken und zum Handeln als wären wir die gesamte Welt. Die USA ist geschockt und holt zum Vergeltungsschlag aus. Die Anstifter und Täter werden in radikalen Islamkreisen verortet. G. Bush, Präsident der Vereinigten Staaten, fragt nicht danach wie konnte soviel Hass in der muslimischen Welt auf Amerika, den Westen entstehen? Er sieht im Islam das Böse und ruft zum „heiligen Krieg“ auf. Im Westen glauben wir, uns gegen alles absichern und versichern zu können, dann gibt es eine solche Katastrophe. Die beste Katastrophenvorsorge ist das „nicht Anhaften“, sei es am Leben oder Geld.

Vierzehn Tage sind seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York vergangen die Radio- und Fernsehnachrichten sind immer randvoll von neuen Erkenntnissen zu den Terroranschlägen vom 11. September. Die Zeitungen bringen auf vielen Seiten Annalysen von Politologen, Islamkenner und Militärstrategen, trotzdem bleiben mir die Ereignisse fern. Unsere engsten persönlichen Konflikte sind eine Keimzelle für die Weltkonflikte. Bereits in der Familie, unter Verwandten, schaffen wir es nicht in Frieden zu leben, so wird es wohl keine konfliktfreie Welt geben. Leichtfertig gehen wir mit dem Leben anderer um, wir zollen dem Leben der Anderen wenig Respekt, wie im Straßenverkehr, der viel „Blutzoll“ fordert. Die ungerechte Verteilung von Lebensmittel und des Trinkwassers auf der Welt führen zu täglichen kriegerischen Auseinandersetzungen. Jede Produktion, jeder Verkauf und Ankauf von Waffen bedeutet eine Vorstufe zur Vernichtung von Leben. Aus dem Tageheft Nr. 67

Tageheftseite September 2001

11. September : 2001

„Dies ist kein Film, dies ist kein Film“, antwortete die Partnerin Rosmarie aufgeregt auf meine Frage, welcher Film gerade im Fernsehen läuft? Nach einem arbeitsreichen Tag kam ich am 11. September 2001 nach 20 Uhr aus dem Papiergeschäft im Erdgeschoß in die Wohnung im ersten Stock. Beim Eintreten in das Wohnzimmer sah ich am Bildschirm rauchende und brennende Wolkenkratzer und dachte Rosmarie sieht sich einen Katastrophenfilm an. Am Montag den 10. September 2001 war Schulbeginn in Kärnten und der Dienstag, der 11. September, war in unserer Papierhandlung in Arnoldstein ein verkaufsstarker Tag für Schulartikel. Den ganzen Tag über hatten wir im Geschäft viel zu tun und niemand, weder die Verkäuferinnen noch wir haben Radionachrichten gehört oder Fernsehen geschaut. Damals war es kaum üblich, dass tagsüber im Fernsehen eine Nachrichtensendung geschaut wurde. Zumeist sah man die Hauptnachrichten um 19.30 Uhr, die Zeit im Bild. Von den Kunden gab es im Laufe des Tages keinerlei Bemerkungen, dass in New York etwas „Schreckliches“ passiert wäre. Unser ganzes Bemühen trachtete danach die Einkaufslisten für die Schulartikel vollständig und richtig „abzuarbeiten“.

Nach Geschäftsschluss war ich noch länger im Geschäft mit dem Nachfüllen und Nachbestellen von Waren beschäftigt. Die Partnerin ging etwas früher aus dem Geschäft um das Abendessen vorzubereiten. Nach 20 Uhr kam ich in die Wohnung und sah im Fernsehen die beschädigten und rauchenten Wolkenkratzer und hielt dies für Szenen aus einem Katastrophenfilm aus den Filmstudios von Hollywood. Ich konnte mir lange nicht vorstellen, dass auf das World Trade Center in New York ein Anschlag mit Flugzeugen verübt wurde. Aus dem Tageheft Nr. 67