LEBENS:mittel

Kommt man zufällig oder mit einem Besuch in ein Einkaufszentrum, dann wird es schwer im Lebensmittelmarkt die Präsentation von Fleisch, Wurst oder Käse zu akzeptieren. Dort geht man an Schütten und Gitterkörben vorbei, wo sich das Fleisch, die Wurst und der Käse zu Aktionsbergen türmen. Die Nahrungsmittel werden öffentlich zur Schau gestellt, dass an ihnen nichts intimes bleibt. Man bekommt das Gefühl, dass diese Lebensmittel aus einer anonymen Fabrik kommen und genauso vom Fließband laufen, wie ein Staubsauger oder eine Bohrmaschine. Die Schleuderpreise, mit denen die Milch oder das Fleisch angeboten werden, werten die Nahrungsmittel noch weiter ab. Den Landwirten ist es aufgestoßen, dass nicht nur ihre Produkte, sondern auch ihre Arbeit und ihr Beruf durch diese Preisschlacht abgewertet werden. Wer weis, wie viel Liebe und Arbeit im Brot, in der Milch, Käse, sowie Fleisch steckt, erschrickt darüber wie die Lebensmittel durch die Art der Präsentation und die Rabatte abgewertet werden.

In der Großbuchhandlung werden die Bücher stapelweise auf sogenannten Aktionstischen angeboten. Bücher, die in den Zeitungen, im Hörfunk oder im Fernsehen besprochen werden, die Bestseller. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand stehen bleibt ist dort am größten, wo der Stapel am größten ist. Ein Bücherstapel kommt mir vor, wie ein Haufen Erbrochenes, wo der Autor seine innersten Gedanken erbrochen hat. Einmal mit schönen Bildern bereichert, ein andermal mit engen Zeilen bedruckt. Genauso wie den Nahrungsmitteln ergeht es den Büchern, auch hier kommen die Schleuderpreise zur Anwendung. Wer nicht zur absoluten unterhaltsamen Spitze gehört, wird verramscht. Wie mag sich ein Autor fühlen, der sein Buch um Euro 2.99 und darunter, auf einem „Wühltisch“ liegen sieht?  

Dreißig Zeilen.       

MAUS:klick

Heute kann man bei vielen Anlässen sagen, alles was wir brauchen oder wissen wollen ist nur einen Mausklick entfernt. Die elektronische Maus ermöglicht uns das Einkaufen in einem Versandhaus, die Buchung eines Fahrschein für die Bahn, die Auskunft wie das Wetter bei den Bekannten in Sydney ist. Wir können virtuell den Kilimandscharo besteigen oder bequem vom Wohnzimmer aus eine Reise zu den Sehenswürdigkeiten von Berlin machen. Mit einem Mausklick gibt es Informationen zu einer Birkenallergie und die wichtigsten Lebensdaten von Alfred Döblin.

Der Mausklick hat mir neue Freiheiten beim Schreiben gebracht, er hat dafür gesorgt, dass sich das Schreiben verändert hat. Ich sitze am PC lockerer als an der Schreibmaschine, egal ob sie mechanisch oder elektrisch war. Es genügt ein Mausklick um ein Wort, einen Satz, zu verschieben, zu löschen oder etwas neues einzufügen. Die Gedanken können frei fließen, ich brauche nicht die Sätze vor der Niederschrift im Kopf verbessern, kürzen und regulieren. Mit einem Mausklick kann skurriles gelöscht und starres lebendig gemacht werden.

Erfahrung.

BILD:genau

Wir ersticken in einer Flut von Bildern, die Wörter geraten in das Abseits. Die meisten Bilder werden nicht mit der Digitalkamera sondern mit dem Handy gemacht. Dabei wird keine menschliche Situation ausgelassen. Ob die Frau auf dem Balkon sitzt, aus der Dusche kommt oder das aktuelle Mittagessen. Hat man Besuch und sitzt  im Wohnzimmer bei einem Glas Bier, vergeht keine Viertelstunde und jemand zückt sein Handy um ein Foto zu schießen, die Gesichter sind zum Abschuss freigegeben. Bei einer Feier im Partyraum zu einem runden Geburtstag ist es selbstverständlich, dass das Lachen jedes einzelnen festgehalten wird, dauert es auch nur drei Sekunden. Man will allen zeigen wie gut man sich versteht, wenn es auch nicht  so ist. Ist man Mitglied beim örtlichen Gesangsverein, dann kommt der Obmann mit ein paar Sangesbrüdern um ein Ständchen zu singen. Alles auf der Homepage nachzuschauen.   

Bei einer Veranstaltung der Wirtschaftskammer, ein Vortrag eines bekannten Zukunftsforscher, drängen die Funktionäre in das öffentliche Interesse. Niemand will es versäumen, zusammen mit den Landespolitikern, in die Tageszeitung zu kommen. Über die Zukunft kann man nach dem Vortrag nur rätseln und Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.

Sitze ich auf dem Hauptplatz der Draustadt, dann kann ich den gezückten Handys mit meinen Augen folgen und dabei eine fotografische Reise über den Hauptplatz machen. Von einer Hausfassade zur Anderen, von einem Denkmal zum Nächsten. Es wird nicht vergessen auch die Frau und die Kinder auf das Bild zubringen.

Ziehen Jugendliche in einer Gruppe durch die Stadt wird es rasanter. Das gibt mehr Aktion, komische Situationen, da werden die Mädchen von den Buben geschubst, eine Tasche wird geschnappt, einem Mädchen nachgelaufen, wie soll man sonst seine Gefühle ausdrücken. Da bleibt kein Handy in der Jacke, alles wird mitgefilmt. Besonderen Spass gibt es im Vergnügungspark. Bei einer Fahrt durch das Gruselkabinett, mit dem Gokart im Autodrom, wobei man andere Autos rammt, dass es die Freunde fast aus dem Auto schleudert. Bei der Fahrt auf der Achterbahn bleibt kein Mund geschlossen und die Gesichter verzerren sich. Diese Schrecksekunden muss man festhalten und auf YouTube online stellen, dass es alle Welt sieht. Wer schaut dort noch genau hin, wenn alle dort sind, außer man ist prominent, dass sich für die anderen das Hinschauen lohnt. Wer wird sich an diese vielen Bilder, Videos noch erinnern? Diesen Bildern wird kaum dieselbe Aufmerksamkeit zuteil werden, wie den Schwarz-Weiß-Bildern, die es noch in den Familienalben gibt. Von uns selbst, den Eltern, der Taufe oder der Hochzeit.

Rarität.  

WORT:genau

Bei der Fülle von Wörtern die täglich auf uns einströmen, aus dem Radio, aus der Zeitung und den Zeitschriften, hat man das Gespür für den einzelnen Satz verloren. Niemand hat die Zeit sich einem Satz zuzuwenden. Für den Beruf, für die  Beziehung, wird  man in Kursen darauf trainiert, dass man viel spricht, alles zerredet. An einem Satz festhalten ist uns abhanden gekommen. Hat man Glück, dann kommt einem ein Satz aus der Kindheit in den Sinn, ein Vaterwort oder Mutterwort. Das kann man sich genauer anschauen. Diese Sätze prägen einen Menschen, sie erschaffen ein ganzes Weltbild. Die ganze Weltsicht beruht auf einem Wort, auf einem Satz: „Es mag mich niemand“. Es ist nebensächlich wer diesen Satz gesprochen hat, zu wem und in welcher Situation, dies ist ein Lebenssatz.

Zu uns Kindern wurde am Bauerhof immer gesagt: „Wir müssen gescheiter sein als die Viecher.“ Gemeint waren die  Kühe, Pferde, Schweine, Hühner und Schafe. Es lag in unserer Obsorge, dass die Kühe beim Weiden nicht in das Getreidefeld oder in den Obstgarten liefen, das Pferd nicht durch unachtsame Bewegungen aufscheuchte oder mit den Hufen ausschlug. Holten wir aus dem Garten Gemüse, durften wir  das Gartentor nicht offen lassen. Es dauerte keine fünf Minuten und die ganze Hühnerschar zerrupfte den Salat. Schuldig waren wir Kinder, nicht die Kühe, Pferde oder Hühner.

Selbstanklage