Über schlagloch

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einzelne Leser treten auf der Internetplattform mit ihm auch in eine Diskussion über das Geschriebene ein. Vom Deutschen Literaturarchiv Marbach werden ausgewählte Online-Publikationen, so auch das Blog „schlagloch“ auf der Plattform Literatur-im-Netz langzeitarchiviert. Einige „Schlaglöcher„ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht: Zeitenwandel (2009); Die Beobachtungen (2011); Bruchstellen (2015).

VITAL:kirche

 „Von der Volkskirche zur Individualkirche” bezeichnete Dr. Peter Deibler seinen Vortrag. Bei dem Wort Individualkirche ist mir der heutige Mensch eingefallen mit seinen persönlichen Bedürfnissen. Egal, welchen Bereich man heranzieht, dort, wo man es sich leisten kann, geht es um die Individualität. Das fängt beim Essen an, Bioessen, Vitalessen oder Schlemmermenü, betrifft die Kleidung, jedem sein Designermodell. Ein neues Auto mit individueller Ausstattung, auf die Fahrgewohnheiten des Käufers abgestimmt. Die medizinische Forschung verspricht für die Zu-kunft Medikamente, die ganz spezifisch auf die Schwingungen jedes Einzelnen und seine Beschwerden wirken.  

Die Individualkirche stelle ich mir so vor, dass sie für jeden ein persön-liches, maßgeschneidertes Angebot bietet, je nach Lebensverlauf. Für die verschiedenen Lebensläufe sowie für die verschiedenen Berufe, wie Tischler, Automechanikerin oder Verkäufer. Es gibt unterschiedliche Persönlichkeiten und Hobbys, wie Läufer, Musiker, Imker oder Feuer-wehrmann, mit unterschiedlichen Sorgen und Freuden. Die Menschen haben verschiedene Gesichter, so könnte man für jeden von Gott ein ein-zigartiges Profil erstellen. Für verschiedene Volksschichten eine unter-scheidbare Kirche, für die Jugend eine rockige Kirche, für junge Eltern eine Kirche, die anpackt, für die Senioren eine vertrauenswürdige, eine bodenständige Kirche.

Dazu ein Softwareprogramm für den PC, das für den Einzelnen zu seinen Angaben eine maßgeschneiderte Auslegung der Bibel liefert. Jedem seinen persönlichen Glauben, wie seine persönliche E-Mail-Adresse.

Die Breitbandinitiative.

BLÄTTER:rauschen

Zu den Annehmlichkeiten eines Kuraufenthaltes gehört die Zeit zwischen den Kuranwendungen. Die Therapien sind nicht immer angenehm, in vielen Fällen sind sie anstrengend. Die Zeit zwischen den Anwendungen kann man sich mit dem Lesen von Tageszeitungen vertreiben. Die Kurorte im Gasteinertal verfügen über einen Lesesaal, wo eine Reihe von deutschsprachigen Tageszeitungen angeboten werden. Hier liegen Schundzeitungen und Schwundzeitungen nebeneinander, es ist eine geistige Dialysestation. Im Lesesaal rauscht es, wie das Laub im Herbst. Dazu kommt das Rauschen der Entlüftung, gleich der am WC. Manche verbinden das Lesen einer Tageszeitung mit dem Trinken von einer Tasse Kaffee. Der Lesesaal verhält sich zu einem Café wie ein Klinikspeisesaal zu einem Gourmetrestaurant. Vor dem Fenster spielt eine hochgewachsene Dame auf einer Flöte. In der Zeitung habe ich vom digitalen Buch gelesen, vom Rascheln beim Seiten umblättern zum geräuschlosen digitalen Umblättern. Oft finden sich in verschiedenen Zeitungen dieselben Nachrichten, wessen Meinung zählt? Plötzlich ist man eingenickt.

 

Vom Lesesaal zum Schlafsaal.

 

SPEK:takel

Die Sommersaison fördert in den Bezirksstädten, in den Gemeinden, die Event Kultur. Waren es eine Zeit lang Brauchtumsveranstaltungen, Vorführungen der Gesangvereine und der Blaskapellen, so ist heute vieles moderner. Dazu gekommen sind Gauklerfest, Autocorso, Jazztage und Theateraufführungen. Am beliebtesten sind die kulinarischen Feste, es gibt sie in jeder Region in Kärnten. Die Aufzählung erfolgt ansatzweise: Es gibt das Backhendlfest, das Gulaschfest, das Polentafest, das Rindfleischfest und das Spektakel, das Speckfest. Hier können die Bauern ihren Speck bekannt machen und direkt verkaufen.

Diesem Fest schließen sich die Gastronomie und die ortsansässigen Händler an, es gibt ein richtiges Spektakel. Abgerundet wird das Fest durch ein Kinderprogramm und Livemusik. Am meisten Zuspruch finden die Aussteller, wo es etwas zum Trinken und Essen gibt. Das hält Leib und Seele zusammen und fördert die Kontakte unter den Besuchern. Die Aktivitäten der Händler sind nur Beiwerk. Wer interessiert sich von den Spektakelbesuchern für Acrylbilder, Lesebrillen, Badehosen oder Bücher?

Diesem Spektakel kann sich der örtliche Schriftsteller nicht entziehen und er entschließt sich zu einem Besuch, dabei trifft er den ortsansässigen Buchhändler. Vor einigen Tagen konnte der Schriftsteller den Buchhändler dazu bewegen, dass er einige seiner Bücher auf Lager legt. Das Misstrauen des ortsansässigen Buchhändlers gegenüber dem örtlichen Schriftsteller ist biologisch gewachsen. Der Schriftsteller hat wenig zur Verklärung und Behübschung der engeren Heimat beigetragen, er hat vielmehr Heimatliches infrage gestellt. Heimeliges in Unheimliches umgeschrieben. Im Schaufenster der Buchhandlung findet man prachtvolle Bildbände, die die Schönheit des Tales preisen und würdigen. Solche Bücher sind eine klare kaufmännische Angelegenheit, diese lassen sich gut verkaufen. Schwieriger ist es Bücher zu verkaufen, die an der Schönheit und Intaktheit des Tales zweifeln.

Ohne Wenn und Aber. 

 

IM:rausch II

Wer bei dem Wort Rausch an den Alkoholmissbrauch denkt, greift bei dem Wort zu kurz. Es gibt noch andere Arten von Rauschzuständen, wie Drogenrausch, Höhenrausch, Geschwindigkeitsrausch, Kaufrausch oder Erfolgsrausch. Die Frage ist, was einen Rausch auslöst, ist es ein Defizit in einem bestimmten Lebensbereich? Ein Mangel an Selbstwertgefühl oder eine Ersatzhandlung für einen bestimmten Verzicht. Es gibt niemanden, der ohne Rausch auskommt. Verzicht und Stabilität sind auch eine Form des Rausches, ein Rausch der Normalität. Wer sich der Frömmigkeit und der Nächstenliebe hingibt, lebt in einem Rauschzustand der Hilfsbereitschaft.

 

Die deutsche Autoindustrie kann pro Jahr hundert Millionen Autos produzieren. Die voraussichtlichen Verkaufszahlen pro Jahr liegen bei fünfzig Millionen Autos. Wir  leben im Rausch der Produktionssteigerung, im Wachstumsrausch, dieser Rausch ist kollektiv, ist legal.

 

Die Autofalle.

IM:rausch

Sich einen “Rausch antrinken”, wie der Alkoholmissbrauch im Volksmund genannt wird, war früher auf dem Land etwas Normales und hat auch vieles entschuldigt. Oft ist es passiert, dass es im Rausch unter den Gasthausbesuchern zu einem Streit oder einer Rauferei gekommen ist. Es gab kaum eine Brauchtumsveranstaltung, sei es Kirchtag, Feuerwehrfest oder Faschingsball, wo es nicht eine Rauferei gegeben hat. Am nächsten Tag waren sich die Streitparteien  einig, es war eine besoffene Geschichte, der man nicht viel Bedeutung beigemessen hat. Von dem Einen und dem Anderen hat es geheißen, dass er, wenn er im Rausch heimkommt, seine Frau und seine Kinder schlägt. Auch dies hat man zu den entschuldbaren Vorkommnissen gezählt. Es hat genügt, wenn man es in der Kirche gebeichtet hat und der Pfarrer  einem in das Gewissen redete. 

Heute ist man vorsichtiger und überlegt sich, was man im Rausch macht. Bei einer sogenannten Wirtshausrauferei ist man schnell mit dem Paragrafen Körperverletzung und einer Schmerzens-geldforderung konfrontiert. Bei der Misshandlung von Frau oder Kind kommt es zu einem Verweis aus der Wohnung. Den Pfarrer, der einem in das Gewissen redet, muss man suchen.  In der Kirche diskutiert man über komplexe Glaubens- und Sozialfragen. Im Rausch wird der Blickwinkel enger und beim Überschreiten der Geleise bleibt man dort liegen. 

Böses Erwachen.