WIEN:splitter II

Kommt ein Wienbesucher in die Verlegenheit, gleich ob er aus einem Bundesland angereist ist oder einem europäischen Land, eine typische Haltung oder Geste der Wiener zu beschreiben, dann könnte er sagen: „In der U-Bahn auf den Oberschenkeln verschränkte Arme, welche die Handtasche oder den Stadtrucksack festhalten. Die U-Bahn ist ein modernes öffentliches Verkehrsmittel, man kommt mit ihr schnell zu den wichtigsten Zentren und Plätzen der Stadt. Beim genauen Hinschauen gibt es verschiedene Eigenheiten, eine ist das Misstrauen gegenüber dem Sitznachbar. Alle Taschen werden krampfhaft mit beiden Armen festgehalten. Oder ein plötzlicher Platzwechsel, wenn jemand dem Äußeren nach nicht ordentlich aussieht. Immer wieder zu beobachten ist, dass jemand seinen BicMäc mit dem Hund teilt. Ein Problem sind die Gratiszeitungen, die beim Eingang zur U-Bahnstation mitgenommen werden, durchgeblättert werden und im Waggon liegengelassen werden und später  am Boden landen. Man muss in der U-Bahn über einen Zeitungsblätterwald darübersteigen.

Gleich rechts und links vom  Eingang in den Stephansdom befinden sich die Altäre der Heiligen, wo man gegen Bezahlung ein Teelicht vor dem Altar anzündet, umso die Fürbitte zum Heiligen zu verstärken. Wer es bequemer haben will, kann gegen eine Gebühr einen Zettel ausfüllen und darauf seine Bitte schreiben und in einen Korb werfen. Von kirchlicher Stelle wird versichert, dass für alle Bitten im Korb zu einem bestimmten Zeitpunkt, am 8. 12., gebetet wird.

Alles bezahlt.       

KAUFEN:haben II

Gibt es bei den Konsumenten neue Bedürfnisse die einen Gewinn versprechen, so werden sie von den Handelsketten aufgegriffen und umgesetzt. Einer dieser Trends sind Biolebensmittel und Produkte aus heimischer Landwirtschaft, diese findet man jetzt vermehrt in den Supermärkten. Dabei hat es in den Orten vor Jahren noch Bäckereien, Fleischereien,  Bauernmärkte und ab Hof Verkauf gegeben, wo man sich mit  naturnahen Produkten eindecken konnte. Es bedurfte der Werbung: „ Ja natürlich“. Ein großer Unterschied herrscht zwischen der  Stimmung  auf dem Villacher  Wochenmarkt  und der Stimmung in  einem „Ja natürlich Supermarkt“. Am Wochenmarkt läuft der Schmäh, der kleine Tratsch, die persönliche Ansprache. Eine kleine Kostprobe gefällig und nicht klinische Verpackung. Über den neuen „Menschenschlag“ den die EKZ hervorbringen schreibt Pfarrer Dr. Deibler: „Die Geschäfte haben keine Eingangstüren, daher grüßt auch niemand beim Betreten oder beim Verlassen des Geschäftes. Die Angestellten sitzen wie betäubt an der Kassa oder schlichten stumm und unbeteiligt Ware in die Regale. Ich habe in Einkaufszentren immer den Eindruck, als ob die Menschen hier in Hypnose wären, ferngesteuert, von Bildern und Markennamen hierhin und dorthin gezogen, ihre menschlichen Qualitäten vergessend.“

Eine Perspektive für die Zukunft könnte sein, dass wie beim Straßenverkehr ein Umdenken einsetzt. Vor Jahrzehnten wurden immer mehr und immer breitere Straßen durch die Landschaft und durch die Orte gebaut. Heute ist man um eine Verkehrsberuhigung bemüht, es werden Straßen rückgebaut. Es hat nicht mehr die größtmögliche Mobilität den Vorrang, sondern Lebensqualität und Wohnqualität. Werden auch die EKZ in Zukunft nicht mehr und noch größer, sondern werden sie  zurückgebaut? In der Innenstadt, im Ortskern der umliegenden Gemeinden würde es dann wieder mehr Nachhaltigkeit, Wertschöpfung und Leben geben.

KAUFEN:haben

Im Handel gibt es für die meisten Branchen im Oktober eine Verschnaufpause, soweit es in den Einkaufszentren eine Verschnaufpause gibt. Das Sommergeschäft ist vorbei, das Herbstgeschäft hängt, so im Textil- und im Schuhhandel, stark von der Wetterlage ab. Herrschen im Oktober sommerliche Temperaturen, dann überlegen sich viele, ob sie eine Herbstgarderobe kaufen sollen oder ob sie auf die Wintermode warten. Vom Bikini in den Wintermantel. Anders im Baumarkt, da möchten viele vor dem Winter noch dieses und jenes am Haus fertigstellen. Jetzt konzentriert sich der Handel auf die nächsten Monate, fragt sich, was können wir für Weihnachten anbieten. Wie steigern wir das Weihnachtsgeschäft. Den Lebensmittelhandel stören die hohen Temperaturen nicht, der Lebkuchen, der Weihnachtsstollen und der Christbaumbehang liegt in den Verkaufsschütten. Die erste Weihnachtswerbung flimmert über den Bildschirm.

In Villach versuchte die Pfarre Völkendorf mit einer Veranstaltungsreihe, „Essen-kaufen-Haben“, unser Konsumverhalten zu hinterfragen. Der Center Manager des Atrio Einkaufszentrum, hielt in der Pfarrkirche ein Statement: „Wie ein Einkaufszentrum zum Wahrzeichen der Stadt wird“. Einige seiner Thesen sind: „Das Atrio entwickelt sich zu einem Treffpunkt für die Bevölkerung der Stadt, für die umliegenden Regionen und das benachbarte Ausland. Die Atmosphäre im EKZ zieht am Vormittag die Senioren und am Nachmittag die Jugendlichen ab. Auf dem künstlichen Marktplatz, der Piazza, stillen die Mütter ihre Babys. Das Atrio entspricht den modernen Bedürfnissen des mobilen Menschen.“  

Diese schöne Konsumwelt wurde von einigen Zuhörern in Frage gestellt, durch andere Sichtweisen ergänzt und erweitert. Die Besucher des EKZ fehlen anderswo, sie werden aus der Innenstadt, aus den Gemeinden der umliegenden Regionen abgeworben. Hier treffen sich die Leute auf einer künstlichen Piazza, die in  Rekordbauzeit geschaffen wurde. In der Region veröden die in Jahrzehnten, manchmal in Jahrhunderten gewachsenen Ortskerne. Es ist oft so, dass sich Initiativen und Vereine aus den Umlandgemeinden bemühen im Atrio einen Auftritt zu erhalten, weil sie hier mehr Leute aus dem Ort ansprechen können, als wenn sie im Heimatort auftreten würden. In den Ortschaften um Villach, in den Stadtteilen, haben sich die privaten Lebensmittelhändler und Fachgeschäfte, mit dem Entstehen der EKZ am Stadtrand verabschiedet. Sie haben schließen müssen, weil die Kaufkraft abgezogen wurde. Am Land beklagt man sich heute darüber, dass viele Fachgeschäfte aufgegeben haben, man müsse wegen jeder Kleinigkeit in die Stadt fahren. Eine selbsterfüllende Prophezeiung. In den Umlandgemeinden sind Ortsentwicklung, Dorferneuerung zusammengebrochen, weil Mitarbeiter, meistens waren es Menschen aus dem Handel, Gewerbe und Gastronomie, ausgestiegen sind. Es ist  ein Zeitenwandel, den man achselzuckend hinnimmt.

Tagebuch.

VER:laufen IV

Verlässt man in Venedig den markierten Weg ist die Gefahr groß, dass man sich verläuft. Dies kann dazu beitragen, dass man etwas Neues entdeckt, was für das Begreifen der Stadt förderlich ist. Dies können persönlich gestaltete Fenster von kleinen Werkstätten oder Mauernischen mit religiösen Motiven sein, die einen Blick in die Seele des Viertel gewähren.

Kann man sich auch im Leben verlaufen? Unsere Lebensläufe lehnen sich an die Routen der Eltern an, die an die Kinder weitergegeben wurden, der pädagogische Routenplaner. Bei den Routenplanern hat man die Wahl zwischen der schnellsten oder der kürzesten Route. Gleich bleiben der Abfahrtsort und der Zielort. Vor Jahrzehnten konnte man mit diesem oder jenem Schulabschluss den Einstieg in einen bestimmten Beruf und die vorgegebenen Aufstiegsmöglichkeiten planen.  Zuweilen wusste man bei Betriebseintritt in welcher Position man zum Berufsende in Pension gehen wird. Dabei hat es immer Aussteiger und Ausreißer gegeben. Heute wäre eine solche Lebensplanung absurd, das Schlagwort heißt Flexibilität. Immer flexibel sein bedeutet in steter Anspannung zu leben, den Augenblick nicht zu versäumen.

Da stellt sich die Frage, wann man sich eine Pause gönnen soll, wann braucht es die Flexibilität nicht mehr. Oft werden für das Alter, wenn man aus dem Berufsleben ausscheidet, Forderungen gestellt, dass man alles daran setzten soll um flexibel zu bleiben. Es geht darum, den Lebensfaden nicht zu verlieren. Meine Losung für die Pension heißt, so flexibel wie möglich und stabil wie notwendig.

Plexiglas.           

VER:laufen II

Eine besondere Erfahrung beim Gehen macht man in der Lagunenstadt Venedig, wo man neben der Benützung der Vaporetto auf dem Canale Grande, sehr viel zu Fuß unterwegs ist. Nach den sogenannten Ameisenstraßen, wo sich die Fülle der Besucher durchschlängelt, kann man sich leicht orientieren. Sie führen verlässlich zu den Sehenswürdigkeiten wie Markusplatz, Rialtobrücke, Guggenheimmuseum oder Palazzo Grassi. Besteht die Absicht ein unbekanntes Stadtviertel zu erforschen wie, Cannaregio oder Castello, dann steckt die Tücke bei der Besichtigung im Detail. In den schmalen und verwinkelten Gassen, die oft nur körperbreit sind, kann man sich schnell verlaufen. Viele Gassen sind nicht beschriftet, die Häuser haben eine Hausnummer. Die Gassen machen oft einen Hacken und plötzlich geht es nicht mehr weiter oder sie enden an einem Kanal, aber es gibt keine Brücke. Sie  sind meist dann nicht vorhanden, wenn man dringend eine sucht. In dieser Situation hilft auch kein Stadtplan, weil man durch die Winkelzüge die Orientierung verloren hat. In so einem Fall ist es empfehlenswert umzukehren, zurück zu gehen, bis man sich an einem bekannten Ort neu orientieren kann und es noch einmal versuchen. Wie im Märchen, von einem Knaul Wolle den Faden hinter sich abspulen, damit man weis, von wo man gekommen ist.

Labyrinth.